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Mit ´blauer Brille´

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Fulda. Was ist Autismus? Fr Mediziner und Wissenschaftler ist es ein faszinierendes und hoch spannendes Phnomen, fr betroffene Kinde

Fulda. Was ist Autismus? Fr Mediziner und Wissenschaftler ist es ein faszinierendes und hoch spannendes Phnomen, fr betroffene Kinder und deren Familien bedeutet diese Diagnose nicht selten Stigmatisierung und Isolation.

Das Kind zu erklren, ist einer unserer Hauptjobs", sagt Manja Francz, Mutter eines 9-jhrigen Sohnes mit der Diagnose High-Functioning Autismus. Sie gehrt zu den Grnderinnen der Elterninitiative Autismus - Region Fulda", die gemeinsam mit Neurochirurg Dr. Samir Al-Hami zu der Informationsveranstaltung Autismus - Behinderung oder alternatives Gehirndesign?" in die Mnsterfeldhalle eingeladen hatte.

Knapp 400 Personen aus Medizin und Bildung, sozialen Einrichtungen und Behrden sowie Familien nutzten die Gelegenheit, mehr ber Autismus-Spektrum-Strungen (ASS) zu erfahren und in die Welt der Betroffenen und deren Familien einzutauchen. Wie breit das Strungsspektrum ist und welche Aufflligkeiten autistische Kinder zeigen, machte Dr. Mardjan Gharheman, Oberrztin der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie am Herz-Jesu-Krankenhaus Fulda, in ihrem Vortrag deutlich.

Autismus - ein Sammelbegriff fr verschiedene Strungen

Es gibt nicht den Autismus", so Gharheman, es gibt ein riesiges Spektrum unterschiedlicher Erscheinungsbilder. Es sind Kinder dabei, die eine schwere geistige Behinderung haben, aber auch Kinder, die eine herausragende intellektuelle Fhigkeit besitzen." Autismus sei ein Sammelbegriff fr verschiedene Strungen. Als Kernmerkmale fhrte die Oberrztin eine Beeintrchtigung in der sozialen Interaktion sowie im Kommunikationsverhalten und ein eingeschrnktes Repertoire an Interessen und Aktivitten an. Strungen aus dem autistischen Spektrum treten bei etwa 6 bis 7 von 1000 Menschen auf. Die Aufflligkeiten beginnen alle in der frhen Kindheit. Eine Heilung gibt es nicht.

Zu den Ursachen der ASS erklrte Gharheman: Wir wissen, dass die Autismus-Spektrum-Strungen neurobiologische Erkrankungen sind - mit einer klaren genetischen Grundlage und es gibt Umweltfaktoren, die dazu beitragen." Von entscheidender Bedeutung seien die frhzeitige Diagnose und ein ganzheitlicher Behandlungsplan, der neben der medikamentsen Behandlung mglicher Begleiterkrankungen wie beispielsweise Depressionen, Epilepsie oder Hyperaktivitt, auf das Training sozialer Fhigkeiten abziele und dabei das familire und schulische Umfeld mit einbeziehe. Die Welt durch die blaue Brille sehenDass durch eine gezielte Beratung und Therapie groe Entwicklungsfortschritte mglich sind, unterstrich Diplom-Sozialpdagogin Nelly Jourdant. Sie ist Lehrbeauftragte an der Fachhochschule fr Gesundheit in Gera und arbeitet in der Erziehungsberatungsstelle Fulda unter anderem mit autistischen Kindern und deren Familien zusammen. Jourdant zeigte anhand zahlreicher Beispiele aus ihrer Berufspraxis die unterschiedlichen Facetten der ASS auf.

In unseren Augen benehmen sich diese Kinder vielleicht seltsam und komisch", sagte Jourdant. Doch sie sehen die Welt einfach durch eine blaue Brille." Um die Kinder zu verstehen, msse man den blauen Blick" lernen, denn kein Autist gleiche dem anderen.

Wer durch die blaue Brille schaue, werde erkennen, dass die Kindern den zarten Tanz der Interaktion" nicht beherrschen, dass sie Blickkontakt vermeiden wrden, weil sie Gesichter nicht entziffern knnten. Dass sie Details zwar hervorragend, das groe Ganze aber nicht erkennen. Viele autistische Kinder", so Jourdant, beharren zwanghaft auf Ritualen oder einer bestimmten Ordnung, sie wiederholen unzhlige Male feste Muster. Manche Kinder scheinen nicht gut zu hren, andere wiederum haben das absolute" Gehr." Bald Autismus-Zentrum in Fulda? Dass der Alltag mit diesen Kindern nicht einfach ist, die Eltern damit hufig berfordert sind und mit ihren Problemen allein gelassen werden, wurde in Jourdants Vortrag sehr deutlich. Eine zustzliche Belastung sei, dass die Familien zur Therapie nach Kassel oder nach Langen bei Frankfurt fahren mssten. In Fulda fehlt ein Zentrum wo Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die sich im autistischen Spektrum bewegen, einen Platz finden", betonte Jourdant. Aus ihrer Sicht sei es an der Zeit, dass so ein Zentrum, das nicht im Schatten einer Groeinrichtung der Behindertenhilfe stehen drfe, aufgebaut werde.

Diese Notwendigkeit unterstrich auch Manja Francz, die ber die Schranken der Gesellschaft sprach und aus dem Alltag mit ihrem autistischen Kind berichtete. Autistische Kinder sind besonders und wundervoll, doch wir Eltern stehen alleine da", so Francz. Verstndnislosigkeit in der Gesellschaft und mangelnde Untersttzung durch politische Entscheidungstrger wrden den Alltag zustzlich verkomplizieren. Es fehle in der Region an Diagnostik- und Therapiemglichkeiten. Es gebe weder gengend Schulbegleiter noch regelmige Fortbildungsmglichkeiten fr Lehrer oder spezielle Betreuungsmglichkeiten fr die autistischen Kinder. Fr Verrgerung und zustzlichen organisatorischen Aufwand sorge die vom Jugendamt oft willkrlich und nicht bedarfsorientiert festgelegte Stundenzahl fr die Schulbegleiter. Unsere Kinder werden durch die ueren Umstnde zu Sorgenkindern. Deshalb brauchen wir in Fulda ein Autismus-Zentrum, einen freundlichen, untersttzenden Umgang miteinander und eine wirkliche Zusammenarbeit der verschiedenen Interessengruppen", appellierte Francz.

Fr den Aufbau dieses Zentrums will sich die Elterninitiative, die sich jeden ersten Donnerstag im Monat um 19 Uhr im Gasthof zur Linde in Pilgerzell trifft, stark machen. Der knftige Standort knnte im Mnsterfeld sein, denn Dr. Al-Hami kndigte zum Ende der Veranstaltung an, Rumlichkeiten fr ein Autismus-Zentrum zur Verfgung stellen zu wollen.

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