Klartext: Wer hat den Mut?

"Fulda aktuell"-Redakteurin Antonia Schmidt findet, vom Schreibtisch aus lässt es sich einfach über Zivilcourage predigen. Aber wie sieht es in der Realität aus? Haben Sie den Mut?
Ich habe schon viele Kommentare und Aufrufe von Politikern, Journalisten oder anderen Menschen in öffentlichen Ämter gelesen, die das Thema Zivilcourage behandeln. Ja, es ist ein wichtiges Thema und klar ist auch, dass wir die Zivilcourage brauchen – heute vielleicht mehr denn je. Aber sind wir mal ehrlich – vom Schreibtisch aus lässt es sich einfach reden. Weit entfernt von den manchmal gefährlichen, aber meist brenzligen Situation, lässt sich schnell sagen: „Ich hätte eingegriffen“. Hätten wir das wirklich?
Diese Frage habe ich mir am vergangenen Sonntag gestellt. Mir wurde von einem Mann erzählt, der sich am Fuldaer Bahnhofsvorplatz offenbar von Menschen mit Migrationshintergrund gestört fühlte. Seine beleidigenden Aussagen erspare ich Ihnen an dieser Stelle. So grummelte der Mann wohl vor sich hin, bis er ein „Opfer“ für seinen offensichtlichen Hass gefunden hatte: Ein junges Mädchen mit sichtbarem Migrationshintergrund und einem Baby passierte seinen Weg. Dieses soll er, laut der Erzählung, blöd angemacht haben. Auf diese Situation wurde ein Mann aufmerksam, der dem ungehobelten Zeitgenossen sagte, dass er verschwinden solle, sonst würde er die Polizei rufen. Mutig! Zumal er seinem Gegenüber körperlich deutlich unterlegen gewesen sein soll. Die Gefahr, dass dieser, offenbar hasserfüllte Mensch, seinen Unmut an demjenigen auslässt, der ihn auf sein Fehlverhalten anspricht, ist sicherlich nicht gering gewesen. Häufig liest man davon, dass Menschen, die Zivilcourage gezeigt haben, dies mit Knochenbrüchen oder sogar mit dem Leben bezahlen mussten. Daher frage ich Sie: Hätten Sie eingegriffen? Ich bin mir nicht sicher, ob ich als einzelne Person eingegriffen hätte. Vor einigen Wochen hatten wir auch auf der Straße unseres Bürogebäudes einen Zwischenfall. Ein Familienstreit eskalierte auf offener Straße, so dass wir die lautstarke Diskussion bis in den vierten Stock hörten. Allein trauten wir uns nicht auf die Straße, denn wer weiß, was uns da erwartet hätte. Also schlossen wir uns zusammen, gingen zu viert in diese Situation und meisterten sie als Team – anders wäre dieser Vorfall womöglich schlimmer ausgegangen. Wer wirklich sicher gehen möchte, beim Leisten von Zivilcourage nicht selbst zum Opfer zu werden, der sollte sich Hilfe bei anderen Passanten suchen und dann Eingreifen. Es gibt keine Entschuldigung dafür, wenn man wegschaut. Auch wenn man „nur“ die 110 wählt und damit die Polizei ruft, hat man etwas getan und sich somit nicht selbst zum Mittäter gemacht.
Der ungehobelte Mann vom Bahnhofsvorplatz zog wohl nach einigem Zögern von dannen. Ein großer Dank gilt dem mutigen Passanten, der dem Mädchen zur Hilfe eilte. Sein Eingreifen war mutig und ist leider keine Selbstverständlichkeit mehr.