Vier, drei – Luther? Dieter Wedels „Luther – Der Anschlag“ eröffnete Festspiele

Zwiespältige Gefühle hinterlässt Wedels Uraufführung seines Luther-Stoffes auf der Festspielbühne.
Bad Hersfeld - Luther war mit Sicherheit eine zwiespältige Persönlichkeit. Auch sicherlich ein Mensch, der nicht einfach war. Aber war er der Mensch, den der Intendant der Bad Hersfelder Festspiele, Dieter Wedel, in ihm sieht? Die Premiere von „Luther – Der Anschlag“ in der Bad Hersfelder Stiftsruine lässt die Frage offen. Wedel, der das Stück selbst geschrieben hat und auf Elemente der Dramatiker John Osborn und John von Düffels zurückgreift, zeigt in der Stiftsruine einen Luther, den man sich nicht so vorstellen mag.
Der Starregisseur hat die Person Martin Luther gleich mit vier Schauspielern angelegt, die den Verzweifelten, den Überheblichen, den Reformator und den Wutbürger Luther darstellen sollen. Der Darsteller des letztgenannten, Burgschauspieler Paulus Manker, hat seine Rolle wohl zu ernst genommen, denn zwei Tage vor der Premiere feuerte Wedel ihn – unter anderem aufgrund von Arbeitsverweigerung.
Nickel spielt zwei Rollen
Der brillante Christian Nickel, der den Reformator verkörperte, übernimmt in der Premiere und für den Rest der Spielzeit auch den Wutbürger. Diesen allerdings nimmt man ihm nicht immer ab – wenn Nickels Leistung auch in der in zwei Tagen erlernten Doppelrolle auf jeden Fall allen künstlerischen Lobes Wert ist. Aber der unflätige Luther, das „Mastschwein“, passt nicht zum schlanken Nickel. Der Reformator dagegen ist ihm wie auf den Leib geschneidert. Auch Maximilian Pulst, der Überhebliche, weiß zu überzeugen, bleibt aber ein wenig blass. Noch blasser allerdings ist Janina Stopper als Verzweifelter. Dies allerdings dürfte in der Rolle selbst ihren Grund haben.
Sehr präsent ist Corinna Pohlmann als rote Teufelin, die Luther stets verführt, und erstklassig besetzt ist Robert Joseph Bartl als purpurrot gewandeter, überheblicher Kardinal Cajetan. Schade, dass Erol Sander – einer von Wedels Stars – als Papst Leo X. blass, beinahe unauffällig bleibt. Mag es die eine oder den anderen freuen, dass Sander lediglich mit Badehose bekleidet die Bühne betritt – notwendig wäre es nicht gewesen. Auch Elisabeth Lanz als Katharina von Bora wird bedauerlicherweise von Wedel auf ein Minimum reduziert.
Große Verve im Ensemble
Die Freundescrew um Luther, bestehend aus Uwe Dag Berlin als flippiger Cranach, Christian Schmidt als Karlstadt, Marcel Heupermann als Ritter von Hutten, Tilo Keiner als Spalatin, Benjamin Kramme als Melanchton und Peter Englert als Lang, ist gut besetzt und spielt adäquat mit teilweise großer Verve. Mit viel Präsenz – aber wenigen Worten – steht Claude-Oliver Rudolph auf der Bühne. Deutlich mehr Fanatismus hätte man ihm als Ablassverkäufer Tetzel zutrauen können. Da der Schauspieler Hartmut Volle als Luthers Vater am Premierentag im Stau stand, übernahm Joern Hinkel, Künstlerischer Direktor der Festspiele und Wedels Stellvertreter, kurzerhand dessen Rolle. Und das tat er perfekt und überzeugend. Inzwischen hat Volle die Rolle inne.
Wedels Inszenierung lebt von Bildern. Verstörende und brutale auf den beiden in den Seitenbögen angebrachten Bildschirmen, durch Bühnenbildner Jens Kilian erschaffene, gewaltige in der Stiftsruine. Das große beleuchtete Kreuz in der Apsis wirkt majestätisch, bedrohlich dagegen zwei nach oben gefahrene Teile des Bühnenbodens, die an Panzer erinnern. Das ist neben den modernen Kostümen Wedels Bogen zum Jetzt, in dem religiöser Wahn und Fanatismus noch immer unser Leben bestimmen.
Die Film-Einspieler mit Tagesschausprecher Jan Hofer und Moderatorin Mareile Höppner lockern die Aufführung auf – aber braucht das Theater so etwas? Seit „Hexenjagd“ erklärt Wedel seinem Publikum per Videoleinwand, was auf der Bühne passiert. Noch deutlicher tut er es in „Luther – Der Anschlag“. Allerdings hätte das Stück mehr davon, wenn die inszenierten „technischen Pannen“ oder die Besuchergruppe im Filmstudio (mit Ministerpräsidentengattin Ursula Bouffier als Autogrammjägerin) den Weg in das Stück nicht gefunden hätten. Lässliche „Gags“, die die Ernsthaftigkeit des Themas schmälern.
Kein Eklat auf der Bühne
Aber zurück zum Anfang: War Luther das, was Wedel aus ihm gemacht hat? Ich vermag es nicht zu beantworten. Es ist Theater, keine Biografie. Wedel wollte – zumindest laut den Worten seines neuen Widersachers Manker – einen Eklat auf die Bühne bringen. Das ist ihm nicht gelungen.
Wer sich mit Martin Luther beschäftigt hat – und das dürfte im sogenannten Lutherjahr ein Großteil der Deutschen in irgendeiner Form getan haben –, der weiß, dass der große Reformator unter Darmbeschwerden litt, Juden hasste und ein Choleriker war. Das ist kein Skandal mehr – auch nicht im Theater. Wedels „Luther“ ist eine Person, die fiktiv erscheint. Ein Luther, dessen laut Wedel „zerrissene Persönlichkeit“ auf der Bühne nicht ganz klar wird, auch nicht durch die Darstellung einer Person durch sehr unterschiedliche Schauspieler.
Zögerlicher Applaus
Stellenweise unterhaltsam mag der „Luther“ bei den Bad Hersfelder Festspielen sein, tiefgründig vielleicht, in Teilen verwirrend mit Sicherheit. Auch das abrupte Ende hat das Premierenpublikum augenscheinlich überrascht. Zögerlich setzt nach rund drei Stunden der Applaus ein – höflich, vereinzelt begeistert.
Luther kommt als Person in Bad Hersfeld nicht gut weg, die Kirche an sich – ob katholisch oder evangelisch – auch nicht. Luther, der selbst in der (damals noch) Stiftskirche predigte, ehe er nach Eisenach auf die Wartburg floh, mag es egal sein, wie Wedel ihn sieht. Und auch jeder Zuschauer darf – und sollte – sich „seinen“ Luther weiterhin denken, wie er mag.