Briefwechsel: Frohe Weihnachten an die Obdachlosen aus Kassel

Diese Woche richtet Chefredakteur Rainer Hahne seinen Briefwechsel an die Obdachlosen aus Kassel, die Weihnachten im Café Panama verbringen können.
Sehr geehrte Obdachlose aus Kassel,
mit Freuden habe ich von den Mitarbeitern des Cafés Panama gehört, dass Ihr die Weihnachtstage in Eurer "Heimat" verbringen werdet. Heiligabend gibt es ab 15 Uhr Kaffee. Pfarrer Temme wird Euch besuchen und zu Euch sprechen. Anschließend esst Ihr Würstchen und Kartoffelsalat und laßt Euch bescheren – ein Tütchen gibt es mit Ahler Wurscht, Orangen und Nüssen.
Am 1. und 2. Weihnachtstag ist von 10 bis 15 Uhr geöffnet. Ihr werdet gemütlich essen. Das tägliche Elend für einige Stunden vergessen. Und dann kommen sie wieder hoch, die Geschichten, die Ihr Euch gerne mal wieder erzählt. Unter der Überschrift "Meine Geschichte ist es wert, erzählt zu werden" haben einige von Euch schon vor Jahren ein kleines Heftchen geschrieben. Ich habe es mir mal in Ruhe durchgelesen und war beeindruckt.
Günther Blumenröther hat die Geschichte einer kleinen Reise niedergeschrieben. Am ersten Tag fuhr er schwarz mit der Bahn nach Hofgeismar. Fuhr dann mit dem Fahrrad nach Trendelburg, trank eine Cola auf der Trendelburg und übernachtete in Wülmersen im Freien. Am zweiten Tag besuchte er dort das Museum und eine Cafeteria.
Dann ging es mit dem Fahrrad in meine alte westfälische Heimat – wahrscheinlich hat mir die Geschichte deshalb so gut gefallen. In Natzungen bei Borgentreich übernachtete er auf dem Schulgelände unter einem Dach. Dann radelte er nach Schweckhausen, fotografierte das Wasserschlos und schmuste – miau, miau – mit einer kleinen schwarz-weiss gefleckten Katze. In meinem Heimatort Peckelsheim trank er eine Cola in einer Gaststätte. Dann besuchte er die Klosterkirche und das Schloss in Willebadessen.
Und weiter ging’s mit dem Zug nach Münster, drei Wochen lang alte Bekannte besuchen. Dort ging er ins Provinzhaus der Schwestern von der Göttlichen Vorsehung zu Schwester Answeris, die er jedes Jahr zum Geburtstag besucht. Und abends fuhr er mit dem Zug zurück nach Kassel. Auch so kann man eine Reise machen. Könnte manch einen, der nicht mehr weiss, ob ein Sechs-Sterne-Hotel für ihn gut genug ist, nachdenklich stimmen.
Matthias Wagner hatte einen kleinen Welpen vor dem Tod gerettet. Die beiden sind heute noch unzertrennlich. Andrea Wallisch hatte eine glückliche Kindheit, doch mit zehn Jahren packte sie eine heftige Krankheit, die ihr Leben grtundlegend veränderte. Gehirntumor? Entzündung des Gehirns – Enzephalitis warf sie völlig aus der Bahn. Ich hatte grün! Dann sah ich diesen Wagen, der mit hoher Geschwindigkeit auf mich zuschoss, schreibt Walter Clemen. Auch sein Leben war zerstört.
Ihnen allen wünsche ich trotz allem schöne Ereignisse im Jahr 2017.
Mit weihnachtlichen Grüßen
Rainer HahneChefredakteur
P.s. Und uns allen – liebe Leser – einen geruhsamen Jahresausklang.