Liebe Genossinnen und Genossen,
eigentlich bin ich nur aus unserem Sommerurlaub nach Kassel zurückgekehrt, um die Wehlheider Kirmes als Schirmherr zu eröffnen und zu begleiten. Nachdem mich aber nicht nur die Ergebnisse aus den Sitzungen des UBA und der Fraktion, sondern auch die Diskussionen als Grundlage dieser Ergebnisse, erreicht haben, muss ich Euch allen auf diesem Weg öffentlich schreiben und einiges aufklären.
Ich halte das, was während meiner Abwesenheit geschehen ist, und das, was nicht geschehen ist, aber in der jetzigen Lage geboten wäre, für einen unglaublichen Vorgang; gegenüber der Stadt und den Menschen, gegenüber der breiten Mehrheit der Mitglieder der Partei, aber insbesondere auch gegenüber meiner Person. Ich bin über den Vorgang an sich und über die Verantwortlichen dieses Vorgangs schwer verärgert und von ihnen menschlich zutiefst enttäuscht.
Die Inhalte der Beschlüsse der Gremien sind gegenüber der Stadt Kassel und deren Einwohnern völlig verantwortungslos. Ich muss das als Oberbürgermeister gerade in der jetzigen Lage leider so hart zum Ausdruck bringen. Es wird nämlich damit in der Öffentlichkeit der Eindruck vermittelt, dass auch auf die Kasseler SPD kein Verlass mehr ist. Die Interessen Einzelner und wirre Positionen scheinen der SPD offenbar wichtiger zu sein, als Gestaltungskraft für die Stadt Kassel und deren Einwohner zu erhalten. Dies ist nicht etwa allein meine Meinung, sondern wird durch viele Gespräche mit Bürgerinnen und Bürger auf der Kirmes und im Stadion, durch Anrufe und Nachrichten aus der gesamten Stadtgesellschaft bestätigt; in Teilen in noch viel härterer Tonlage. Wie könnt Ihr das gerade in der schwierigen Lage, in der unsere Stadt sich wie das gesamte Land befindet, tun? Stadtverwaltung und Stadtkonzern brauchen Eure Rückendeckung, nicht Eure Gleichgültigkeit, um für die Menschen gute Daseinsvorsorge anbieten zu können.
Erst die Stadt und dann die Partei lautet die eigentlich gebotene Haltung. Was gut ist für die Stadt, wird am Ende auch gut für die Partei sein - niemals umgekehrt! Für die Partei sind die Inhalte der Beschlüsse deswegen umso mehr ein folgenschwerer strategischer Fehler. Es ist einigen Genossen - offensichtlich - gleichgültig, ob die SPD weiter verantwortlich mitgestalten kann. Wer in Anbetracht der mit großer Wahrscheinlichkeit drohenden Jamaika-Koalition noch davon redet, man könne mit wechselnden Mehrheiten gestalten, der irrt nicht nur gewaltig, sondern transportiert der Partei noch obendrein ein falsches Bild der Lage.
Wenn ich jetzt auch noch im Brief des Parteivorsitzenden vom 13.08.2022 lesen muss, dass wir am 18. Juli 2022 nur wegen „wechselnder Mehrheiten“ eine Mehrheit für das EEG und den Nachtragshaushalt erhalten haben, ist das erneut schlicht falsch. Richtig ist, wir haben nur obsiegt, weil wir die CDU an uns gebunden haben und wir sie letztlich überzeugen konnten, bei ihrer Haltung zu bleiben. CDU und SPD gemeinsam sind aufgrund der Anzahl ihrer Mandate die Eckpfeiler der erfolgreichen Beschlüsse vom 18.Juli 2022 gewesen. Andere kamen hinzu. Somit ist doch ganz klar, nur mit weiteren vertrauensvollen, zielführenden Gesprächen und verbindlichen Verabredungen mit der CDU können wir Jamaika in Kassel verhindern und gemeinsam mit der CDU auch andere Partner hinzugewinnen. So ist es am 18.Juli geschehen und das ist eine Blaupause für eine zukünftige Zusammenarbeit zum Wohle der Stadt. Deswegen hat es seit dem 17.Juni 2022 (!) im Kreis des Parteivorsitzenden, der beiden Fraktionsvorsitzenden und mir gemeinsam mit der Partei- und Fraktionsspitze der CDU (auch vier Vertreter) immer wieder ernsthafte Gesprächsrunden gegeben. Mit anderen Worten es hätte längst vor der Urlaubszeit eine Haltung in den Parteigremien der SPD zur Weiterführung der Gespräche herbeigeführt werden können und müssen. Wenn die Verantwortlichen der CDU das Verhalten des Parteivorsitzenden und der Co-Fraktionsvorsitzenden nunmehr als Vertrauensbruch bewerten sollten, kann ich sie gut verstehen. Mich persönlich beschämt dieses Vorgehen gegenüber der CDU zutiefst. Man kann sich für deren Verhalten nur stellvertretend entschuldigen, denn sie wissen in der Mehrheit nicht, was sie getan haben.
Mit den Kasseler Grünen ist in deren derzeitiger Verfassung eine Zusammenarbeit aufgrund ihres Koalitionsbruchs, aufgrund ihrer inhaltlichen Haltung und ihren zum Teil verleumderischen Aussagen gegenüber Verantwortlichen von Stadt und SPD leider nicht mehr möglich. Das haben selbst der Parteivorsitzende und die gesamte Fraktion in den letzten Wochen nicht anders geäußert. Und ich habe Euch wie viele andere prophezeit, dass es auch nach einer erfolgreichen OB-Wahl nicht anders sein wird. Zudem sollte man sich stets noch selbst im Spiegel anschauen können. Haben doch bis heute der Parteivorstand und der Fraktionsvorstand - so ihre eigene Aussage - nicht einmal eine nachvollziehbare persönliche Erklärung für den Koalitionsbruch der Grünen erhalten. Es muss doch jedem deutlich werden, dass der Koalitionsbruch der Grünen und deren Provokationen nichts anderes als Teil einer Strategie zur OB-Wahl sind. Warum geht die SPD, geführt vom Parteivorsitzenden und der Co-Fraktionsvorsitzenden, den Grünen dann plötzlich und so dilettantisch auf den Leim? Warum wird eine erfolgreich erprobte Alternative für die Stadt und unsere Partei in den Gremien von einer Mehrheit blockiert?
Obwohl ich genauso wie Wolfgang Decker, Esther Kalveram, Conny Janusch, Rosa Hamacher, Enrico Schäfer, Ilona Friedrich, Dirk Stochla und Andere genau dies bereits im Vorfeld erläutert habe und mich im UBA noch einmal mit einer Botschaft genauso wie der Bezirksvorsitzende Timon Gremmels, der meine Haltung in dieser Frage teilt, an Euch gewandt habe, haben unsere Sicht der Dinge eine Mehrheit von Genossen um den Parteivorsitzenden und die Co-Fraktionsvorsitzende schlicht nicht interessiert.
Das meine Botschaft „unter Palmen“ erfolgte ist im Übrigen nicht als bizarr zu werten, sondern verdeutlicht einmal mehr wie hinterrücks und plötzlich der Vorgang in den Gremien erfolgt ist. Ich hatte nur diese eine Chance noch einmal eine Botschaft im UBA zu übermitteln. Wer sich auch immer derart gegenüber der Presse und im UBA geäußert hat, muss wissen, dass dies nicht nur von mir, sondern auch von meiner Familie als ganz herber Schlag der eigenen Partei ins Gesicht verstanden wird und angesichts von all dem, was auch die Familie eines Oberbürgermeisters aushalten muss, eine absolute Frechheit darstellt!
Obendrein hat der Parteivorsitzende mir gegenüber bis heute (15.08.2022) nicht einmal persönlich eine Rechtfertigung für sein Verhalten abgegeben noch hatte er offenbar Größe und Mut dazu. Bis heute habe ich ihm dazu Zeit gegeben und mich öffentlich nicht geäußert, ohne Resultat. Wie ich erfahren habe, hat er sogar Eva Kühne-Hörmann noch am Donnerstag letzter Woche unterrichtet, mich bis heute nicht. Geht man so miteinander um? Ist das für einen Parteivorsitzenden gegenüber dem eigenen Oberbürgermeister der angemessene Stil? Nein!
Dies alles ist noch umso schlimmer, weil es natürlich nicht um irgendeine kleine Sachentscheidung ging, sondern um eine Grundsatzentscheidung. Bei solchen gilt ohne Wenn und Aber die alte Maxime, Stützen oder Stürzen! Dessen war sich hoffentlich am Mittwoch im UBA eine jede/ ein jeder auf Seiten des Genossen Hechelmann und der Genossin Kopec bewusst. Angesichts der nachträglichen Äußerungen des Parteivorsitzenden in seinem o. a. Brief vom 13.08.2022, es sei nach wie vor sein wichtigstes Ziel, mich für meine Wiederwahl im nächsten Jahr zu unterstützen und zu stärken, kann ich nur schließen, dass es ihm entweder nicht einmal bewusst war, was er getan und zu verantworten hat oder es sich bei seinen Äußerungen um nichts anderes als pure Heuchelei vor dem Hintergrund allmählich erahnender Ausmaße des von ihm angerichteten Schadens handelt.
Beides führt für mich zu demselben Ergebnis in der Beurteilung der verantwortlich handelnden Personen. Es kann und wird keinen gemeinsamen Weg für uns in der Zukunft mehr geben.
Liebe Genossinnen und Genossen,
wie ihr wisst, verstehe ich mich als Oberbürgermeister, der seine Stadt gestalten und nicht nur verwalten will. Die Gestaltungskraft eines Oberbürgermeisters liegt aber nach der Hessischen Gemeindeordnung aus gutem Grund, sofern Gesetze es nicht anders verlangen, nicht allein im eigenen Entscheiden, sondern gerade bei den Grundsatzthemen nur im Entwurf von Ideen und deren anschließender Umsetzung durch die Führung der Stadtverwaltung und des Stadtkonzerns. Dazwischen liegen die wichtige Mehrheitsfindung und Entscheidungshoheit der Stadtverordnetenversammlung; heißt ein OB braucht dort Mehrheiten unter Einbeziehung seiner eigenen Partei - sinnvollerweise jedenfalls.
Mit dieser Grundhaltung und der bislang solidarischen Rückendeckung der SPD-Fraktion konnte ich gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der Stadtverwaltung und des Stadtkonzerns in den letzten Jahren vieles gestalten, ob bei neuen Wegen im Schulbau, in der Krankenhauspolitik, der Energiepolitik, der Arbeitsmarkts- und Wirtschaftspolitik, der Sicherheitspolitik, im Sport und in der Kultur, bei der Schaffung 4000 neuer Kita Plätze, durch die nachhaltige Entschuldung unserer Stadt um eine halbe Milliarde Euro und beim zwingend notwendigen organisatorischen Umbau von Stadtverwaltung und -konzern. Überdies ist es mir gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen - auf deren Leistungen ich sehr stolz bin - gelungen, nicht nur Krisensituationen wie die Flüchtlingslage, die Pandemie oder aktuell die Ukraine- und Energiekrise zu managen und jeweils zügig vor die Lage zu kommen. Dazu kamen unglaublich viele Herausforderungen und Lagen in den städtischen Unternehmen aber auch im Alltag. Für alles haben wir am Ende für eine vertretbare, gute Lösung gesorgt oder sorgen aktuell für eine solche.
Ich blicke auf eine sehr ordentliche Leistungsbilanz der Stadt Kassel unter meiner Führung als Oberbürgermeister zurück, habe einen Plan für die Zukunft unserer Stadt vorgelegt und die notwendige persönliche Umsetzungskompetenz nachgewiesen. Mein Kassel als „Das beste Zuhause für alle Menschen“ ist von einer Vision, über eine Strategie in die Umsetzung gelangt, aber noch nicht vollendet. Daran möchte ich eigentlich weiterarbeiten.
Leistungsbilanz, Plan und Kompetenz erkennen auch die Stadtbevölkerung mit sehr großer Mehrheit an. Deswegen sehe ich meiner Wiederwahl trotz allem nötigen Respekt gegenüber den Mitbewerberinnen und Mitbewerbern und trotz zuletzt mancher teils verleumderischer öffentlicher Kampagne politischer Kontrahenten mit sehr guten Erfolgsaussichten entgegen.
Zahllose Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern, Vereinen, Institutionen und Unternehmenbelegen dies und motivieren mich darin, meine Zeit und meine Kraft auch für eine weitere Wahlzeit unserer Stadt und deren Einwohnerinnen und Einwohnern zur Verfügung zu stellen. Es so als Kandidat der SPD zu tun, war jedenfalls meine bisherige Absicht.
Liebe Genossinnen und Genossen,
dafür, dass ich diese Herausforderungen und manche harten Lasten als OB und als Bewerber der Kasseler SPD auf mich nehme, ist allerdings die Rückendeckung meiner Partei erforderlich; nicht nur bei der Nominierung - und die habt ihr mir im Frühjahr auf dem UBA bei etwa 80 Anwesenden mit 100% der Stimmen gegeben - nein, auch in Situationen wie dieser, wenn es um eine politische Grundsatzentscheidung geht.
Stützen oder Stürzen! Der Parteivorsitzende und die Co-Fraktionsvorsitzende haben sich mit einer Mehrheit im UBA jedoch für „Stürzen“ entschieden und sind mir hinterrücks während meiner Urlaubsabwesenheit in den Rücken gefallen.Vor diesem Hintergrund erkläre ich: Solange diese Entscheidung nicht öffentlich revidiert wird und die dafür Verantwortlichen nicht ihre persönlichen Konsequenzen ziehen oder diese ihnen gegenüber deutlich ausgesprochen werden, bin ich entgegen meiner bisherigen Absicht nicht weiter bereit, als Kandidat der Kasseler SPD für eine Wiederwahl als Oberbürgermeister zur Verfügung zu stehen. Diesen Schritt tun zu müssen, fällt mir sehr schwer, aber ich muss mein diesbezügliches Handeln an meinen eigenen Maßstäben messen. Denn ich möchte mich auch weiterhin im Spiegel anschauen können. In einer solchen Grundsatzfrage kann es keine Kompromisse geben, sondern nur eine klare Haltung im Bewusstsein der Konsequenzen.
Überdies rege ich an, dass die komplette Mitgliedschaft der Kasseler SPD zur Entscheidung über die Frage einer Zusammenarbeit in der Stadtverordnetenversammlung in der jetzigen Lage und zur Entscheidung über das unglaubliche Vorgehen des Parteivorstands und der Co- Fraktionsvorsitzenden nebst ihren Mitstreitern zu entscheiden hat. Über eine solche Grundsatzentscheidung darf meines Erachtens nicht bloß ein Parteitag oder ein UBA abschließend urteilen, sondern die komplette Mitgliedschaft, also alle Kasseler Genossinnen und Genossen. Es war doch gerade Aussage einiger der Verantwortlichen für dieses Desaster, dass wir eine moderne Mitmachpartei sein wollen und Grundsatzfragen eben nicht den Funktionären oder Kreisen im Hinterzimmer überlassen. Also müssen wir die weitere Entscheidung über solche Grundsatzfragen auch in der Entscheidung aller Genossinnen und Genossen suchen.
Ich danke all denjenigen, die mich auf meinem bisherigen Weg unterstützt haben und weiterhin unterstützen werden herzlich.
Ich verbleibe für unsere Stadt, unsere Partei und Euch mit einem herzlichen Gottes Segen und Glück auf!
Euer Christian Geselle