Einwohner-Energiegeld: Geselle machte falsche Versprechungen

Traurige Nachrichten für Leistungsbezieher des Jobcenters kurz vor Weihnachten – Einwohner-Energie-Geld muss zurückgezahlt werden.
Kassel. Leistungsbezieherin Marie F. (Name von der Redaktion geändert) traute ihren Augen kaum, als sie Post vom Jobcenter erhielt und sich dabei wie eine Angeklagte vor Gericht gefühlt hat. Denn das Jobcenter bietet ihr eine „Anhörung zur Überzahlung“ an. Der Vorwurf: Sie habe mit dem Einwohner-Energie-Geld (EEG) ein einmaliges Einkommen für sich und ihr Kind erzielt. Heißt: Laut Jobcenter ist Marie F. durch den Erhalt des Energie-Geldes nur noch in geringerer Höhe hilfebedürftig – und kürzt in der Folge ihre Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Alle Betroffenen müssen die „überzahlten Leistungen“ zurückzahlen – oder aber das Jobcenter verrechnet sie im nächsten Monat mit ihrem Leistungsanspruch. (Das Schreiben liegt unserer Redaktion vor.)
Marie F.: „Ich hatte mich wirklich über 150 Euro mehr im Geldbeutel gefreut, um die gestiegenen Kosten schultern zu können und meinem Sohn auch in diesem schwierigen Jahr ein schönes Weihnachtsgeschenk kaufen zu können. Nun wird mir das Geld vom Jobcenter im Dezember gekürzt. Es macht mich fassungslos.“
Marie F. wird außerdem vorgeworfen, grob fahrlässig gehandelt zu haben, weil sie dazu verpflichtet sei, alle Änderungen ihrer Verhältnisse gegenüber dem Jobcenter rechtzeitig anzuzeigen. Nicht nur, dass die versprochene finanzielle Entlastung ausbleibt, nun muss sich Marie F. – und mit ihr viele andere – auch noch damit rumschlagen, dass ihr ein Pflichtverstoß gegenüber dem Jobcenter vorgeworfen wird.
Ob Millionär oder Sozialhilfeempfänger, ob Kind oder Rentner: Jeder Kasseler sollte 75 Euro Einwohner-Energiegeld erhalten, wenn er den Antrag stellt, verkündete Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle noch vor einigen Wochen - pünktlich zum Wahlkampfauftakt - stolz, als er das Procedere zum EEG im Rathaus vorstellte. Nun ist klar: Das Einwohner-Energie-Geld dürfen nicht alle behalten. Der Grund: Bei SGB II-Leistungsempfängern werden die 75 Euro voll angerechnet - anders als von Geselle versprochen.
Auf Anfrage beim Jobcenter der Stadt Kassel teilt ein Sprecher mit: „Nach ausführlicher Prüfung durch die Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit sowie der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in Rücksprache mit dem BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) wurde dem Jobcenter Stadt Kassel die rechtliche Wertung mitgeteilt, dass es sich beim EEG der Stadt Kassel um ein anzurechnendes Einkommen handelt.“ Das heißt: Bei denjenigen, die die 75 Euro Energie-Geld am dringendsten brauchen, kommt das Geld nicht an.
Schon im Vorfeld gab es vor allem aufgrund des unsozialen Gießkannenprinzips viel Kritik (Der EXTRA TIP berichtete). Außerdem gab es von Anfang an Zweifel, ob das Energie-Geld nicht auf Sozialleistungen angerechnet werden müsse. Geselle behauptete stets das Gegenteil und man glaubte ihm - er ist schließlich Oberbürgermeister.
Oberbürgermeister noch glaubwürdig?
Was jetzt bekannt wurde, lässt nicht nur Marie F. an der Glaubwürdigkeit dieses Oberbürgermeisters zweifeln. „Einen Menschen, der mir falsche Versprechungen macht, kann ich nicht als Oberbürgermeister wählen. Und wenn ich daran denke, dass andere, die das Geld nicht brauchen, nun einfach noch etwas mehr in der Tasche haben, zum Beispiel für Weihnachtsgeschenke für ihre Kinder, fühlt es sich ungerecht an und macht mich traurig.“
Hintergrund: Die Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit im Wortlaut: Das Energiegeld gem. der Förderrichtlinie der Stadt Kassel (EEG) ist bei der leistungsrechtlichen Berechnung als Einkommen zu berücksichtigen und im Einzelfall zu prüfen, ob es sich unter Berücksichtigung der persönlichen Freibeträge auf die Leistungshöhe auswirkt.
Das Energiegeld ist grundsätzlich als Einkommen auf die Leistungen nach dem SGB II anzurechnen, es liegt insbesondere keine Privilegierung gem. § 11a SGB II vor.
• Eine Privilegierung nach § 11a Absatz 3 Satz 1 SGB II liegt nicht vor, da die Voraussetzungen aufgrund der Zweckidentität nicht vorliegen.
Ferner kann auch keine Privilegierung aus Billigkeitsgründen gem. § 11a Absatz 5 SGB II angenommen werden.
Zum einen ist fraglich, ob die Stadt Kassel als „ein Anderer“ im Sinne des § 11a SGB II zu betrachten ist. Die Regelung setzt voraus, dass nicht aufgrund rechtlicher Verpflichtung geleistet wird. Die von der Stadt Kassel geschaffene Vorschrift begründet gerade die rechtliche Verpflichtung, bei Vorliegen der Voraussetzungen der EEG an den Bürger zu leisten.“ Für das Jobcenter Stadt Kassel stellt dies bindend klar, dass das Einwohner-Energie-Geld (EEG) auf die Leistungen nach dem SGB II anzurechnen ist. Dabei wird darauf vertraut, dass Kundinnen und Kunden den Erhalt der Zahlung angeben, wozu sie generell bei allen Einkommen verpflichtet sind. Das Jobcenter Stadt Kassel bittet daher leistungsbeziehende Bürgerinnen und Bürger der Stadt Kassel, welche das Einwohner-Energie-Geld (EEG) beantragt und erhalten haben, dieses ihrer Leistungssachbearbeitung anzuzeigen.