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Ein Ei reicht für mehr als eine Großfamilie

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Strauß-Experte Uwe Schrage mit seinen Lieblingen.
strauss_IMG_5026.JPG © Krümler

Strauße leben nicht nur in der Serengeti, sondern auch im Reinhardswald.

Region. Schon so mancher Spaziergänger oder Radfahrer hat sich gewundert, was da auf den Wiesen am Wasserschloss Wülmersen rumläuft. Viele kennen diese Tiere aus Zoos oder dem Fernsehen. Aber: „Strauße bei uns, die leben doch in der Wüste? – Frieren die denn nicht?“ Diese und ähnliche Fragen muss der gelernte Landwirt Uwe Schrage fast täglich beantworten, wenn er bei seinen Tieren vorbei schaut. Dabei kannte er die Vögel lange Jahre selbst nur aus dem TV. „2015 bot sich die Möglichkeit, unseren verpachteten Hof wieder selbst zu übernehmen“, erzählt der Trendelburger, der jahrelang abseits der Landwirtschaft tätig war. Klar war auch, dass der Hof nichts mit Antibiotika und Massentierhaltung zu tun haben sollte. „Also sind wir auf die Blauhelmstrauße gekommen“, erzählt Ehefrau Melanie Schrage-Lang, – im Hauptberuf Lehrerin und „als solche fürs Einkommen zuständig“, wie Uwe Schrage schmunzelnd ergänzt. Doch vor der Verwirklichung der Straußenzucht galt es noch zehn Ämter von der Idee zu überzeugen und diverse Auflagen und Anforderungen in Sachen Haltung, Pflege, Hygiene und Zucht zu erfüllen. „Die Haltungsrichtlinien bei Straußen sind extrem streng. So manches einheimische Haustier darf von so viel Freiheit nur träumen“, berichtet der Landwirt. Und als es dann losgehen durfte, kam ihnen die Vogelgrippe in die Quere. Der 59-Jährige erinnert sich: „Aus dem ursprünglichen Plan mit maximal 96 Tieren sind wir damals zurück gegangen auf knapp über 50 Tiere“.

Learning by doing startete der vierfache Vater dann hinein ins Straußenfarmerleben, das er bis heute „im Hobbyrahmen betreibt“. Und sich längst auf Straußeneier spezialisiert hat. „Bis 2019 haben wir ja auch noch geschlachtet und das Fleisch verkauft“, erzählt Uwe Schrage. „Aber dann fiel es mir immer schwerer. Haben Sie schon einmal erlebt, wenn ihnen so ein Strauß länger in die Augen schaut? Es ist, als würde er in ihre Seele gucken können.“ Von da an gehörte das Schlachten der Vergangenheit an, die Zukunft gehörte und gehört den Straußeneiern, welche die rund 50 Hennen legen. Ein paar Hähne sind auch noch da, „denn so sind die weiblichen Tiere entspannter“, erklärt Uwe Schrage. Nicht wegen der Attraktivität des anderen Geschlechts sondern weil sie – wie in freier Wildbahn – für den Schutz der Straußenherde sorgen.

Auf der Straußenfarm Reinhardswald wechseln die Vögel nach Lust und Laune von innen nach außen. Wobei sie die freie Natur eindeutig bevorzugen. Strauße sind robust, das Klima in Deutschland bereitet ihnen keine Schwierigkeiten. Im Sommer fressen die Tiere fast nur frisches Gras, das in der Legesaison – zwecks stärkerer Kalkbildung – durch gequetschtes Getreide ergänzt wird, das Uwe Schrage von Bauern aus der Nachbarschaft bezieht. Befürchtungen, dass die Vögel eingeengt sind, weil sie ja nicht wie in der Savanne kilometerlang herumziehen können, hat er nicht: „Strauße sind uns Menschen sehr ähnlich, wenn sie satt sind, werden sie faul. Also setzen sie sich hin und warten darauf, dass sie wieder Hunger bekommen“, so der Züchter.  Rund 20.000 Quadratmeter Fläche stehen den Tieren zur Verfügung, eine beeindruckende Zahl, vergleicht man das einmal mit anderen Werten. „Putenmäster dürfen laut Verordnungen 51 Kilogramm Pute auf einen Quadratmeter unterbringen“, so der 59-Jährige. „Strauße wiegen etwa das dreifache, also wären wir bei drei Quadratmetern. So gesehen stehen hier in Wülmersen jedem Tier rund 500 Quadratmeter zur Verfügung, mal außen vor gelassen, dass sie ja das ganze Gelände nutzen“. In der Saison – circa Anfang März bis Mitte/Ende September – legen die Hennen je nach Alter zwischen 20 und 100 Eier. „Mit zweieinhalb bis drei Jahren beginnen sie mit dem Legen und machen das dann 30 bis 40 Jahre“, erzählt Uwe Schrage und scherzt: „Ich werde also nicht mehr mitbekommen, wenn meine Tiere damit aufhören.“

Das Einsammeln der Eier ist nicht ganz ungefährlich. „Straußenhennen legen Gelege an, die in einer zweiwöchigen Sammelphase nach und nach gefüllt, aber nicht sonderlich bewacht werden, da kann man die Eier holen. Sitzen sie drauf und brüten, hat man keine Chance mehr, dann wird das Gelege mit Klauen und Schnabel verteidigt“. Dazu kommt: Strauße sind Wildtiere und nicht domestizierbar, auf dem weitläufigen Gelände gilt also auch der 59-Jährige als Eindringling, den vor allem die Hähne ins Visier nehmen. Über die Schutztipps, die im Internet kursieren, kann der Landwirt in Wülmersen nur schmunzeln: „Befestigen sie auf einem langen Stiel einen größeren Gegenstand oder einen Puppenkopf, dann sind sie auf Augenhöhe mit den Tieren und ihnen ebenbürtig“, lacht er. „Das würden sich meine Hähne keine zwei Minuten angucken. Die würden eher denken, was hat der denn für ein dünnes Hälschen, dem zeigen wir mal, wer hier Herr im Ring ist.“ Seine erprobte Lösung: Er fährt mit einem Minitraktor aufs Gelände.

Übrigens: Aus einem Straußenei lässt sich ein Omelett zubereiten, das etwa einem Omelett aus 25 bis 35 Hühnereiern entspricht. Okay, nicht unbedingt die morgendliche Rühreimenge für eine Durchschnittsfamilie, aber der Straußexperte weiß Rat: Die Eimasse verquirlen, nach Wunsch portionieren und dann einfrieren.

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