Psychische Erkrankungen können Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung haben, weiß die Leiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes im Fachdienst Gesundheit des Landkreises Waldeck-Frankenberg, Dr. Britta Dittmar. Im Interview berichtet die Ärztin, warum das Thema psychische Erkrankungen bei jungen Menschen aktueller denn je ist.
Warum leiden immer mehr junge Erwachsene an psychischen Erkrankungen? Dr. Dittmar: In Waldeck-Frankenberg beobachten wir im Sozialpsychiatrischen Dienst immer häufiger junge Erwachsene mit depressiven Symptomen, Antriebslosigkeit, Konzentrationsproblemen, Schlafstörungen und einer geringen Frustrationstoleranz gegenüber Schule, Ausbildung und dem gesellschaftlichen Gefüge. Dass die Zahl der registrierten psychischen Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter in den letzten Jahren zugenommen hat, muss aber nicht zwingend heißen, dass es mehr Betroffene gibt: Vermutlich hat eher die Sensibilität für eine gesunde Entwicklung von Kindern und jungen Erwachsenen zugenommen. Das bedeutet auch, dass psychische Erkrankungen eine Entstigmatisierung erfahren haben. Eine längst überfällige Entwicklung.
Welche Auswirkungen haben seelische Krisen insbesondere für junge Menschen? Dr. Dittmar: Man muss psychische Erkrankungen im jungen Erwachsenenalter auch immer im Zusammenhang mit seelischen Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter betrachten, denn beide gehen häufig ineinander über. Seelische Krisen können die Persönlichkeitsentwicklung beeinflussen und junge Menschen daran hindern, ihr Leben so in die Hand zu nehmen wie Freunde und Bekannte es um sie herum tun.
Wenn der Antrieb fehlt, die Konzentration schwer fällt oder man gar zu Suchtmitteln greift, um unangenehmen Dingen aus dem Weg zu gehen, wird es für junge Menschen schwer, mit den Anforderungen der Erwachsenenwelt umzugehen. Wenn dann private Probleme oder persönliche Niederlagen hinzukommen oder man im Umfeld auf Unverständnis trifft, kann sich die Situation der Betroffenen noch weiter verschlechtern.
Inwiefern greifen hier die Hilfsangebote? Dr. Dittmar: Offiziell werden Patienten aus der Kinder- und Jugendhilfe mit dem 18. Geburtstag volljährig und gelten als erwachsen – demnach rutschen sie auch vom Hilfesystem für Kinder und Jugendliche in das Hilfssystem für Erwachsene. Man kann aber niemanden zu einem bestimmten Stichtag als erwachsen bezeichnen – die Zuordnung zu unseren Systemen folgt aber genau dieser Logik. Die Hilfen des Erwachsenensystems können den jungen Menschen daher oft nicht die Unterstützung geben, die sie benötigen. Die Versorgung ist nicht an die unterschiedlichen Reifeprozesse angepasst. Das muss sich ändern!
Wie kann man Betroffene bestmöglich unterstützen? Dr. Dittmar: Die Hilfen für junge Erwachsene müssen dem Stadium der Persönlichkeitsreife gerecht werden, in dem sie sich befinden. Sowohl stationäre Behandlungskonzepte als auch andere therapeutische Maßnahmen oder unterstützende Wohn- und Arbeitsformen müssen darauf abzielen, die Menschen auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu stärken. Auch die Vernetzung in diesem Bereich ist Ziel unseres diesjährigen Psychiatrietages. Darüber hinaus ist es wichtig, junge Menschen individuell mit ihren Fähigkeiten und ihren Eigenschaften zu betrachten: Eine realistische Wertschätzung und Anerkennung für alles, was der junge Mensch bisher erreicht hat, sind wichtige Grundpfeiler, um ihn widerstandsfähig zu machen für die Herausforderungen des Erwachsenenlebens.
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