Big Brother an Bord: Künstliche Intelligenz überwacht Fahrer
Müde oder abgelenkte Autofahrer gefährden sich und andere. Mit einem ausgetüftelten System will Harman sie künftig vor Fehlern bewahren.
Zeit für eine Pause? Müdigkeitswarner mit dem Kaffeetassen-Symbol sind in vielen Neuwagen zwar Standard, und mittlerweile in neu entwickelten Autos sogar Pflicht, funktionieren in der Praxis aber kaum. Grund genug für den Auto-Zulieferer Harman, es besser zu versuchen. Die Tochter des koreanischen Samsung-Konzerns kennen die meisten Autofahrer vor allem über ihre Audio-Marken wie Harman/Kardon, JBL oder Bowers & Wilkins. Nun wollen die Amerikaner mit Ready Care das Autofahren sicherer, angenehmer und komfortabler machen – mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI), die den Fahrer genau kennt.
Big Brother an Bord: Künstliche Intelligenz überwacht Fahrer
Dafür holt Ready Care aus den sowieso schon vorhandenen Kameraaufnahmen des Fahrers, wie sie für halbautonome Assistenzsysteme benötigt werden, wesentlich mehr Infos heraus als bislang üblich. Eine leistungsfähige Hardware inklusive Infrarotkameras misst die Belastung des Fahrers. Die selbstlernende Software dazu haben Neurowissenschaftlern und Mediziner entwickelt.

Die Folge ist quasi ein Blick ins Bewusstsein des Menschen am Lenkrad: Fühlt er sich körperlich unwohl, ist er schlicht müde, denkt er intensiv über etwas nach, das gar nichts mit seiner Fahrstrecke zu tun hat? Alle diese Einflüsse mindern die Aufmerksamkeit und erhöhen die Gefahr von Unfällen.
Big Brother an Bord: System regelt Temperatur und Musik-Lautstärke herunter
„Wir können feststellen, ob der Fahrer nur schaut oder auch sieht“, beschreibt Anil Hariharakrishnan, Director Product Engineering. Anhand der Augenbewegungen, der Reaktionszeit und weiterer Parameter wird erkannt, ob sich das Gesamtsystem aus Fahrer und Fahrzeug im grünen Bereich befindet.
Falls nicht, steht eine ganze Phalanx von Maßnahmen parat. Ein probates Mittel, um Wohlbefinden und Aufmerksamkeit zu erhöhen, ist die Absenkung der Innentemperatur um ein bis, zwei Grad. Oder die Ventilation des Fahrersitzes. Erkennt Ready Care emotionalen Stress, kann es die Ambiente-Beleuchtung anpassen, die Lautstärke des Soundsystems herunterfahren oder eine zur Situation passende Musik wählen. Und das Navigationssystem schlägt im Zweifelsfall eine stressfreiere Route vor. Alles zusammen soll zum aufmerksameren und entspannteren Fahren führen, kann aber natürlich keinen müden Piloten dauerhaft munter machen.
Big Brother an Bord: Puls wird dauerhaft überwacht
Als Game-Changer betrachtet Harman vor allem eine permanente Überwachung des Pulsschlags – entweder durch eine ans System gekoppelte Smartwatch wie die Apple Watch (die auch Unfälle erkennt) oder mittels Infrarot-Kamera. Über diesen lässt sich nämlich erkennen, ob der Mensch am Steuer beispielsweise ängstlich ist. Irritiert ihn vielleicht eine Warnleuchte? Fürchtet der E-Auto-Fahrer, mit leerem Akku liegenzubleiben? Hier greift Big Brother an Bord unterstützend ein, und schlägt etwa die nächste Halte- oder Lademöglichkeit vor. Ebenfalls vorstellbar: Nachdem Forscher in den USA ein Muster entdeckt haben, nach dem Herzrhythmusstörungen etwa fünf Minuten im Voraus vorhergesagt werden können, könnte Ready Care den Betroffenen warnen, oder gleich den Rettungsdienst alarmieren.

Wie exakt die Messungen bei Harman sind, zeigt eine simulierte Testfahrt durch San Francisco, während der Gedächtnistrainings-Aufgaben gelöst werden sollen. Die Messkurven lassen auf die Sekunde genau erkennen, wie die Konzentration auf ein gefährliches Minimum absinkt.
Big Brother an Bord: Daten bleiben im Auto
Je nach Kurvenverlauf erkennen die Harman-Ingenieure auch, wie erfahren oder ungeübt der Mensch am Lenkrad ist. Bei versierten Piloten pendelt sich nämlich nach einer gewissen Zeit ein annäherndes Aufmerksamkeits-Gleichgewicht ein, bei Neulingen bleibt die Konzentration aufs Denken bestimmend – mit negativen Folgen für die Sicherheit. Die Auto-Insassen können ihren mentalen und körperlichen Zustand auf einem Display erkennen, in Form von Grafiken, die je nach Zustand zwischen Grün (entspannt) und Rot (gestresst, müde) gefärbt sind.
Durch Künstliche Intelligenz lernt das System ständig dazu und entwickelt personalisierte Programme für jeden einzelnen Nutzer. Customer Engineering-Manager Marcus Futterlieb spricht in diesem Zusammenhang von einem „Komplettverständnis vom Fahrer“, verspricht aber auch: „Diese Daten werden das Auto nicht verlassen.“
Trotzdem: Ob sich Autofahrer so durchleuchten lassen, bleibt die große Frage. Die Antwort könnte es schon bald geben: Ready Care ist fertig entwickelt und serienreif, in sechs bis zwölf Monaten könnten es die ersten Autohersteller einbauen. (Mit Material von SP-X)