Sollte in den kommenden Tagen doch noch eine Einigung zustande kommen, könnte diese unter Umständen zwar auch vorläufig in Kraft treten und erst nachträglich ratifiziert werden. Allerdings läuft auch hierfür die Zeit davon: Aus EU-Kreisen hieß es, eine vorläufige Anwendung eines Abkommens vom 1. Januar an sei nur machbar, wenn es bis Weihnachten eine Einigung gebe.
Denn selbst für ein provisorisches Inkrafttreten eines Abkommens sind einige Tage für juristische Prüfungen und Übersetzungen nötig. Trotz allem wird diese vorläufige Anwendung zumindest im EU-Parlament nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP mittlerweile als wahrscheinlichstes Szenario eingestuft. Eine erneute Verlängerung der Übergangszeit wäre zwar „das Beste“, erklärte der SPD-Politiker Lange. Doch dies gilt als höchst unwahrscheinlich. Großbritannien hatte im Sommer jeglichen Aufschub ausgeschlossen, nachdem der Brexit sich zuvor bereits mehrmals um Monate verzögert hatte.
+++ 21.30 Uhr: In den Gesprächen über einen Brexit-Handelspakt zwischen Großbritannien und der EU ist ein Durchbruch noch immer in weiter Ferne. „Die Verhandlungen bleiben schwierig, und es gibt weiterhin deutliche Unterschiede“, hieß es am Abend aus britischen Regierungskreisen. Es werde erwartet, dass die Verhandlungen an diesem Montag weitergehen. „Wir prüfen weiterhin jeden Weg zu einem Abkommen“ - dieses müsse aber mit den britischen Prinzipien übereinstimmen, hieß es.
Vor allem Fischereirechte stehen im Mittelpunkt der Debatte, aber auch gleiche Wettbewerbsbedingungen sind ein Knackpunkt. Das Europaparlament hatte eine letzte Frist bis zum späten Abend gesetzt. Bis dahin müsse ein fertiger Handelsvertrag vorliegen, weil die Abgeordneten sonst nicht mehr ausreichend Zeit zur Prüfung hätten. In London hieß es hingegen, der einzige Stichtag sei der 31. Dezember.
Update vom Sonntag, 20.12.2020, 12.30 Uhr: Das Ping-Pong-Spiel geht auch am Sonntag (20.12.2020) munter weiter. Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock sagte am Sonntag auf Sky News, er sei sich sicher, dass ein Abkommen mit der EU geschlossen werden könne. Es liege aber nun an der EU, „die Sachen in Bewegung zu bringen“, denn sie habe „unvernünftige Forderungen“ aufgestellt, fügte Hancock hinzu.
+++ 21.55 Uhr: Die EU hat Großbritannien nach Diplomatenangaben inzwischen ein letztes Angebot in der Fischerei-Frage unterbreitet. Darüber müsse letztlich der britische Premierminister Boris Johnson entscheiden. Wenn Großbritannien das Angebot ablehne, „bekommen wird einen ‚No Deal‘ wegen Fisch“, sagte ein Diplomat.
+++ 19.55 Uhr: In ihren Verhandlungen über einen Brexit-Handelspakt liegen Großbritannien und die EU weiterhin deutlich auseinander. „Das wahrscheinlichste Ergebnis“ sei derzeit ein No Deal, hieß es am Samstagabend aus Verhandlungskreisen. „Wir werden jeden Stein umdrehen, um einen Deal zustandezubringen.“ Es gebe aber weiter „erhebliche offene Fragen“ zu Fischerei und Subventionen. „Die Verhandlungen gehen weiter, aber wir sind immer noch weit auseinander.“
Erstmeldung vom 19.12.2020: London - Es sind noch 12 Tage bis zum Ende der Brexit-Übergangsphase, also bis zum wirtschaftlichen Bruch Großbritanniens mit der EU nach einem knappen halben Jahrhundert. In einem „letzten Versuch“ haben die Europäische Union und Großbritannien am Freitag (18.12.2020) versucht, doch noch einen Brexit-Handelspakt zustande zu bekommen.
„Wir sind am Moment der Wahrheit“, sagte EU-Unterhändler Michel Barnier im Europaparlament. Es blieben nur noch „einige Stunden“ für Gespräche, solle ein Handelsvertrag noch rechtzeitig zum 1. Januar in Kraft treten. Das gewünschte Abkommen soll Zölle vermeiden und die Folgen für Wirtschaft, Behörden und Bürger abfedern. Allein: Barnier konnte am Freitag immer noch nicht sagen, ob es jemals zustande kommt. Die Chance gebe es, aber der Pfad dorthin sei sehr schmal.
Barniers Sprecher Dan Ferrie wollte übrigens nicht sagen, was „einige Stunden“ bei den Brexit-Verhandlungen bedeutet und ob die Unterhändler wirklich bis Sonntag fertig sein könnten. Die Verhandlungen laufen, sagte er nur. Der britische Staatsminister Michael Gove hatte schon am Donnerstag angedeutet, dass dies durchaus noch bis nach Weihnachten weitergehen könne - Protest aus dem Europaparlament hin oder her.
Es war nicht das erste Mal in den inzwischen quälend langen Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU um den britischen EU-Austritt, dass Barnier Zeitnot und Dringlichkeit beschwor. Er tut das seit Monaten. Inzwischen spricht allerdings nicht nur der Kalender dafür, dass es wirklich ernst wird. Die Geduld der EU ist längst abgelaufen, das machten die Abgeordneten in der Debatte deutlich. „Sonntag ist endgültig Schicht im Schacht“, sagte der SPD-Brexit-Experte Bernd Lange. Sonntag, Mitternacht hatte das Parlament als letzte Frist gesetzt: Entweder liegt bis dahin ein Vertrag vor, oder er kann nicht mehr rechtzeitig ratifiziert werden. Dann komme Plan B, sagte Lange.
Für diesen Plan gibt es verschiedene Varianten: Man verhandelt weiter und setzt im Falle eines Durchbruchs vor Jahresende ein Abkommen vorläufig, also zunächst ohne Ratifizierung in Kraft. Oder man vereinbart eine Frist von einigen Wochen, in der der Status quo auch nach dem 1. Januar weiter gilt, so ein Vorschlag des Grünen-Fraktionschef Philippe Lamberts vor. Wenn auch dies nicht eintreten sollte, bliebe nur der harte Bruch ohne Vertrag, der „No-Deal-Brexit“.
Der britische Premier Boris Johnson sieht das Ende der Verhandlungen unterdessen noch gekommen, bleibt aber in der Sache hart. „Unsere Tür ist offen“, sagte Johnson bei einem Besuch im nordwestenglischen Bolton. „Wir werden weiter reden, aber ich muss sagen, dass die Dinge schwierig aussehen.“ Die EU müsse „Vernunft annehmen und selbst mit etwas an den Tisch kommen“. Nun sei Brüssel am Zug. „Wir hoffen, dass unsere EU-Freunde zur Vernunft kommen werden und von sich aus etwas auf den Verhandlungstisch legen werden“, sagte Johnson.
Hauptstreitpunkte sind seit Monaten faire Wettbewerbsbedingungen, die Kontrolle eines künftigen Abkommens und die Fangrechte für EU-Fischer in britischen Gewässern. Während es nach übereinstimmenden Angaben bei den ersten beiden Knackpunkten zuletzt wesentliche Fortschritte gegeben hatte, blieb die Fischerei-Frage weiter schwierig.
Großbritannien fordere unter Verweis auf seine Souveränität als Küstenstaat, EU-Fischern künftig den eventuell zum jetzigen Zeitpunkt zugesagten Zugang zu seinen Gewässern wieder entziehen zu können, sagte Barnier. „Die EU muss dann auch ihr souveränes Recht haben, darauf reagieren zu können“ - etwa indem es den Zugang für britische Firmen zum europäischen Binnenmarkt einschränkt.
Einen Vorgeschmack auf einen Brexit als No-Deal geben inzwischen die kilometerlangen Lastwagen-Staus am britischen Eingang des Eurotunnels unter dem Ärmelkanal. Gründe für das erhöhte Frachtaufkommen seien das Weihnachtsgeschäft und der Bedarf an medizinischen Gütern in der Coronavirus-Pandemie, aber eben auch die Aufstockung vieler Lager vor Ende der Brexit-Übergangsphase, erklärte der Eurotunnel-Betreiber Getlink auf Anfrage der Nachritenagentur dpa. Auch britische Häfen sind bereits seit Wochen überlastet. Es sieht so aus, als nutzten viele noch ihre Chance - wer weiß, was in zwei Wochen ist.
Aus Londoner Sicht hat Großbritannien bei den beiden schwierigsten Feldern bereits Zugeständnisse gemacht: beim Thema fairer Wettbewerb und bei den Fangrechten für EU-Fischer in britischen Gewässern. Barnier sagte am Freitag aber recht deutlich, woran es jetzt noch hängt. (skr mit Agenturen)