Merkel ist dafür: „Letztes großes Gefecht“ oder „Eingriff in die Freiheit“ - Ausgangssperre auf dem Weg?

Wie kann die dritte Corona-Welle gebrochen werden? Neben Kontaktbeschränkungen hat Angela Merkel Ausgangssperren ins Spiel gebracht.
Berlin - Ausgangsbeschränkung und Ausgangssperre: Diese Anti-Corona-Maßnahmen rücken zunehmend in den Fokus der politischen Überlegungen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte sie bei „Anne Will“ als vorstellbare Option: In Regionen mit besonders hohen Infektionszahlen könnten diese „ein ganz wirksames Mittel sein“.
Zwischen beiden Varianten besteht ein feiner Unterschied: Ausgangsbeschränkung meint, dass triftige Gründe ausgewiesen sind, aus denen man das Haus verlassen darf. Dazu kann aber auch zum Beispiel sportliche Betätigung an der frischen Luft zählen. Nächtliche Ausgangssperren zwischen klar definierten Uhrzeiten gibt es beispielsweise schon in bayerischen Regionen mit hohen Inzidenzwerten*. Die Gründe, das Haus zu verlassen, sind dabei deutlich enger gefasst.
Corona-Lockdown in Deutschland: Ausgangssperre als „letztes großes Gefecht“?
Auf Twitter sprach sich SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach noch einmal klar für Ausgangsbeschränkungen aus: „Letztes großes Gefecht ist nötig“, schreibt er. „Ausgangsbeschränkungen braucht man nur 2-3 Wochen. Bis dahin ist exponentielles Wachstum gebrochen, wenn wir bis dahin auch Lockerungen aufschieben und stattdessen konsequent die Pflicht zu Testung in Schulen und am Arbeitsplatz vorbereiten.“ Bereits in den letzten Tagen hatte Lauterbach immer wieder in TV-Interviews auf andere Länder verwiesen, die nur mit solchen Maßnahmen die Corona-Welle hätten brechen können.
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) sprach sich ebenfalls für nächtliche Ausgangsbeschränkungen als weiteres Mittel zur Eindämmung der Corona-Pandemie* aus. „Ich hätte gar nichts dagegen zu sagen: Ab 20 Uhr ist wirklich Ruhe“, sagt Palmer am Sonntagabend in einer Online-Gesprächsrunde der Bild. Mit Blick auf das derzeit laufende Modellprojekt in Tübingen sagte Palmer, tagsüber könne geordnet in der Außengastronomie gesessen oder mit Maske eingekauft werden. „Und nachts sind alle daheim - warum nicht.“ In Tübingen habe er nämlich das Problem, dass häufig nach 20 Uhr große Gruppen auf innerstädtischen Wiesen Partys feierten. Da gebe es keinen Abstand, sondern Alkohol, sagte der Grünen-Politiker.
Corona in Deutschland: Ausgangssperren sollen Corona-Zahlen senken
Bereits Ende vergangener Woche war aus Brandenburg die Nachricht gekommen, das Land stehe vor einer Verschärfung der Corona-Regeln im privaten Umfeld. Während der Osterzeit von 1. bis 6. April solle es eine Ausgangsbeschränkung von 22 Uhr bis 5 Uhr ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 an drei Tagen hintereinander geben, teilte die Staatskanzlei in Potsdam mit. Ausnahmen aus triftigem Grund seien möglich.
Auch in Niedersachsen müssen Kommunen mit einem Inzidenzwert von mehr als 150 ab sofort nächtliche Ausgangssperren verhängen. Das geht aus einer am Montag in Kraft getretenen neuen Corona-Verordnung der Landesregierung in Hannover hervor. Dies gilt allerdings nur dann, wenn sich das Infektionsgeschehen* nicht mehr hinreichend eingrenzen lässt und eine unkontrollierte Ausbreitung droht.
Laut Verordnung können Städte und Gemeinden mit einer Inzidenz zwischen 100 und 150 Ausgangssperren zudem bereits nach eigenem Ermessen einsetzen. Diese gelten dann zwischen 21 Uhr und 5 Uhr. Bei sogenannten triftigen Gründen gelten jedoch Ausnahmen. Dazu zählt etwa der Weg zur Arbeit oder zum Arzt. Von den neuen Beschlüssen sind bereits die Region Hannover sowie die Landkreise Cloppenburg, Emsland und Peine betroffen.
Corona-Ausgangssperren: Wie effektiv ist diese Maßnahme?
Doch einige Politiker zweifeln, ob diese Maßnahme überhaupt etwas bringt. Dietmar Bartsch von den Linken etwa: „Ich finde, das ist ein wirklich hartes Mittel, das man nur im äußersten Notfall anwenden soll“, sagte er im ARD-“Morgenmagazin“ zu Ausgangssperren. „Aber da wo die Zahlen so hoch sind, da muss man das dann auch schlicht machen.“
Ebenfalls nur als bedingtes Mittel im Kampf gegen die steigenden Corona-Zahlen sieht Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) die Ausgangssperren. Laut einer wissenschaftlichen Untersuchung sei der zusätzliche Effekt in Ländern mit ohnehin harten Lockdown-Maßnahmen „relativ begrenzt“, sagte er im Deutschlandfunk. Er sei vor allem dafür, zuvor „alle milderen Mittel“ im Kampf gegen die Pandemie auszuschöpfen. Dabei denke er etwa an die Einführung einer Testpflicht* in Betrieben. Er wolle aber zugleich nicht ausschließen, dass bei stark steigenden Infektionszahlen „regional spezifische Ausgangsbeschränkungen“ angewandt werden müssten. Es müsse nur klar sein, dass der Nutzen begrenzt sei.
FDP-Chef Christian Lindner sprach sich entschieden gegen Ausgangssperren aus. „Die Ausgangssperren, über die immer wieder gesprochen wird, sind nicht nur ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheit, die sind auch epidemiologisch unwirksam“, sagte Lindner dem Fernsehsender Phoenix. Ausgangssperren seien „eine Symbolmaßnahme, die nichts bringt, und die ich deshalb außerordentlich kritisch sehe“, sagte er.
Ausgangssperren: Studien kommen zu unterschiedlichen Schlüssen
Studien jedoch konnten den Nutzen von Ausgangssperren zum Teil belegen. Erkenntnisse aus Frankreich zeigen laut einem Bericht des Portals Business Insider, dass die Infektionen in der Altersgruppe über 60 dadurch gesunken sind. Bei jüngeren Altersgruppen hingegen hätte die Ausgangssperre keinen Erfolg. Erst der Lockdown mit weiteren Beschränkungen habe Ansteckungen verhindert.
Forscher der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health hätten herausgefunden, dass Ausgangssperren einen „wichtigen und nachhaltigen“ Effekt hatten. Die Ansteckungsraten* seien dadurch lokal klar gesunken. Allerdings sei der direkte Zusammenhang nicht eindeutig erkennbar, da andere Maßnahmen parallel wirkten.
Eine Studie aus Großbritannien hingegen zeigte laut Tagesschau, dass Ausgangssperren sehr viel weniger bringen als andere Beschränkungen. Den stärksten Effekt hatte demnach die Beschränkung von Versammlungen auf weniger als zehn Personen, die Schließung von Bildungseinrichtungen sowie Fitnesstudios und Lokalen. Auch in dieser Studie wurde darauf hingewiesen, dass es schwierig ist, Effekte isoliert zu betrachten.
Aus diesem Grund ist der Blick auf die Inzidenzen von Landkreisen mit Ausgangsbeschränkungen auch nicht unbedingt aussagekräftig. Interessant ist es dennoch, dass im Landkreis Schwandorf in Bayern trotz Ausgangssperren in der Nacht die 7-Tage-Inzidenz von 111,6 vor gut einem Monat auf 289,4 am Sonntag gestiegen ist.
Der Chef des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest, hat sich unterdessen für einen harten Lockdown zu Ostern ausgesprochen. Die Politik habe das Land „leider in eine Lage manövriert“, in der ein harter Lockdown über die Osterferien nötig sei, sagte Fuest am Montag in einem Interview mit Merkur.de*. (dpa/AFP/cibo) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA