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US-Ausschreitungen für Donald Trump positiv? Özdemir bei TV-Talk mit erschreckendem Szenario

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Von: Patrick Freiwah

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ARD-Talkshow von Anne Will: Weltweit finden Proteste als Folge des tragischen Todes von George Floyd statt. US-Präsident Donald Trump könnte es auf Eskalationen im Wahlkampf geradezu anlegen.

Das unfassbare Verbrechen von Minneapolis, als der verstorbene US-Amerikaner George Floyd von vier Polizisten am Boden liegend drangsaliert wurde, hat das Thema Polizeigewalt und Rassismus auf der ganzen Welt in den Fokus der Öffentlichkeit gebracht. In vielen Ländern gehen Menschen auf die Straße, um sich für die Anerkennung der Rechte von farbigen Menschen einzusetzen. 

"Black lives matter" wird auch in Deutschland bei Demonstrationen skandiert. Während die Protestaktionen hierzulande relativ friedfertig ablaufen, sieht es in den USA anders aus. Der TV-Talk bei „Anne Will“ vom 7. Juni hatte US-Bezug: Es ging nicht nur um Rassismus, sondern vielmehr um den Kontext, wie US-Präsident Donald Trump die Unruhe in der Bevölkerung für seine Zwecke ausnutzen möchte. Sendungstitel: „Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus - wie viel Verantwortung trägt Präsident Trump?“.

In Stuttgart ist es in der Nacht zum Sonntag (21. Juni 2020) ebenfalls zu heftigen Krawallen gekommen. Mehrere Kleingruppen lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Die Situation geriet außer Kontrolle.

Donald Trump Thema bei „Anne Will“ (ARD): Erhöhen Eskalationen die Chance auf seine Wiederwahl?

Nachgegeben hat die TV-Redaktion von Anne Will also dem Impuls, die sozialen Unruhen im Rahmen der Gerechtigkeitsdebatte mit einem Themen-Dauerbrenner von Polit-Talkshows zu kreuzen: Präsident Donald Trump* und seine Chancen im US-Wahlkampf 2020*. 

Journalistin Samira El Ouassil fiel durch die einprägsame Beschreibung auf, dass Trump ein „Anti-Präsident der unvereinigten Staaten“ sei. Dem 73-Jährigen gehe es darum zu polarisieren, statt ein kulturell und soziologisch gespaltenes Land vereinen zu wollen - so wie es unter Amtsvorgänger Barack Obama der Fall gewesen sei.

Nichtsdestotrotz handele es sich bei Donald Trump um eine „Ein-Mann-Plage“, der sich in Washington durch die Polizei den Weg von Demonstranten freiräumen ließ, um zu Fuß eine bekannte evangelikale Kirche aufzusuchen, um sich mit einer Bibel in der Hand fotografieren zu lassen - ein medienwirksames Unterfangen, darin ist sich die Runde einig.

So wurde bei „Anne Will“ der Takt von der Bedeutung der Vorkommnisse um den gewaltsamen Tod von George Floyd für den mächtigsten Mann der Welt vorgegeben - und die Reaktion in Form einer perfiden Strategie von Donald Trump analysiert. 

Das führte unweigerlich dazu, dass die Ursachen für Rassismus nicht im Zentrum der Aufarbeitung standen. Der Amerika-Bezug wurde bis auf wenige Minuten am Ende der Sendung aufrechterhalten. Die ARD beging jedoch nicht den verbreiteten Fehler, keine Person einzuladen, die selbst von dem Problem betroffen ist: Es war eine Multi-Kulti-Runde, bei der mit Autorin Alice Hasters auch jemand mit dunkler Hautfarbe und afrikanischen Wurzeln zu Gast war.

„Anne Will“ (ARD): Instrumentalisiert der US-Präsident Geschehnisse um George Floyd?

Eine Chance wurde bei der Polit-Talkshow allerdings nicht wahrgenommen: die Beteiligten nach ihren persönlichen Erfahrungen mit Ungleichbehandlung im Zuge ihrer ausländischen Herkunft zu fragen. Über Rassismus in den USA hatte Alice Hasters jedoch eine Menge zu sagen. Die 30-Jährige betonte zugleich, dass Donald Trump weder den Rassismus in die USA gebracht habe, noch rassistische Polizeigewalt. Ein Statement, das von einer interessanten Statistik in einem Einspielfilmchen untermauert wird: Die Hoffnung, dass sich unter Barack Obama das Verhältnis zwischen Schwarzen und Weißen verbessern würde, erfüllte sich nicht. Stattdessen ist offenbar das Gegenteil der Fall: „In einer US-Umfrage bezeichneten 2009 noch 66 Prozent der Befragten das Verhältnis als gut. Im Sommer 2016 sagten 69 Prozent, das Verhältnis sei schlecht.“

Für sie nimmt der Fall George Floyd eine besondere Dynamik an, weil es besonders schwarze Menschen gewesen seien, die von der Corona-Pandemie in den USA am schlimmsten getroffen wurden: „im Bezug auf Arbeitslosenzahlen, aber auch die Todesopfer“, sie ausführt. 

Das Zünglein an der Waage für eine mögliche Wiederwahl von Donald Trump könnten diesbezüglich Ausschreitungen im Zuge der Protestwellen sein. Denn die Bewegung „Black lives matter“ sei bereits in den Jahren ab 2012 in den Staaten aufgekommen, Gewalteskalationen und Plünderungen hätten das Anliegen für mehr Gerechtigkeit jedoch torpediert, wie Journalist Christoph von Marschall erläuterte. Seiner Intention nach hätten diese verhindert, dass sich in Sachen Gleichheit zwischen den Bevölkerungsgruppen mehr getan hätte als bislang. Von Marschall sieht zwei weitere Fakten, die für Trumps Wiederwahl bedeutend sind: das baldige Ende der Corona-Krise* sowie die Behebung der wirtschaftlichen Probleme, mit denen die USA zu kämpfen haben.

Wie der Mann, der von 2005 bis 2013 als US-Korrespondent für den Tagesspiegel tätig war schildert, geht es Trump beim Thema Polizeigewalt um die Mobilisierung seiner Wähler, um diese im Herbst an die Urne zu bringen. Sollte dies besser gelingen als der gegnerischen Fraktion, sei die Wiederwahl realistisch, „obwohl er eigentlich nicht die Mehrheit der Amerikaner hinter sich hat“. So würde Trump besonders davon profitieren, wenn soziale Unruhen das Land spalten.

„Anne Will“ (ARD): Cem Özdemir malt dramatisches Szenario an die Wand

Cem Özdemir springt seinem Vorredner bei und führt aus, wie es Trump darum gehe*, dass in den US-Staaten Unruhe herrscht, Polizisten angegriffen werden und Gewalt angewendet wird. In der Folge daraus würde sich der Präsident als derjenige positionieren, der für „Recht und Ordnung“ sorge. Dazu malt der Grünen-Politiker ein dramatisches Szenario aus Nordamerika an die Wand: „Rechtsradikale sagen jetzt schon, lasst uns auf Polizisten schießen, damit wir noch mehr Unruhe bekommen.“ Der Politiker warnt hinsichtlich der Eskalationen in den USA: „Ich würde mich darauf einstellen, dass noch viel passieren kann.“

Für Deutsche-Welle-Autor Stefan Simons, der von US-Polizisten sogar beschossen wurde, fange der „Fisch vom Kopf her an zu stinken“ - seinen Schilderungen nach würde die Polizei immer autoritärer auftreten. Für ihn sei es ein „Trumpsches Paradigma“und eine Entwicklung, die landesweit vorangetrieben werde, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Der Journalist lebt seit 20 Jahren in den USA, und schildert, dass Polizeigewalt gegenüber seinem Berufsstand und der Bevölkerung zugenommen habe, darüber hinaus eine „Militarisierung der Polizei*“ in den Staaten vielerorts für Unmut sorge.

„Anne Will“ (ARD): Aufarbeitung über die sozialen Gründe von Rassismus

Einen ertragreichen Dialog vollzogen von Marschall und Hasters über den Ursprung des Rassismus-Problems in den Staaten: Wie von Marschall erklärte, käme ihm der Aspekt zu kurz, dass es innerhalb der „Black Community“ wesentlich höhere Kriminalitätsraten gebe. Per „Henne und Ei“-Prinzip entgegnete Hasters, dass 400 Jahre Rassismus und weniger Menschenrechte zwangsläufig zur Folge hätten, dass sich eigene Gruppen, wo „schwarze Menschen zusammengepfercht sind und nicht genügend Zugang zu Bildung erhalten“. Daraus ergeben sich Folgeerscheinungen wie „Selbstorganisationen und Bandenkriminalität, weil sie auf sich selbst zurückgeworfen sind“, wie die Medienschaffende ausführt.

Die letzten Minuten bei „Anne Will“ (ARD) wurde dann doch noch umgeschwenkt auf Rassismus in Deutschland - thematisch ein Unterfangen, das man sich im Kontext der Sendung letztlich hätte vielleicht sparen können: Zu unterschiedlich auf mehreren Ebenen? Samira El Ouassil scheint es zumindest ähnlich zu sehen: „Der Rassismus hier ist völlig anders“ - und begründet es mit Deutschlands sozialem und kulturellem Hintergrund.

Fazit: Der TV-Talk im Ersten befasste sich um die aufkeimende Polizeigewalt unter US-Präsident Donald Trump und wie diese ihm als mögliches Instrument für seine Wiederwahl dienen könnte. Das emotionale Thema wurde von den Anwesenden sachlich aufgearbeitet, die Thesen fundiert untermauert. Inwiefern sich das strukturelle Problem in den Staaten mittelfristig lösen lässt?

PF

Immer öfter wird in den USA Polizeigewalt nun publik. Ein Vorfall in New York hat massive Konsequenzen.

*Merkur.de ist ein Angebot des bundesweiten Ippen Digital Redaktionsnetzwerks

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