Gegen Erdogans Willen? Türkische Notenbank reagiert auf Lira-Crash - Welle von Festnahmen am Folgetag

Recep Tayyip Erdogan hat sehr eigene finanzpolitische Vorstellungen. Nun ist die Lira auf Rekordtief gesunken - und die Notenbank reagiert überraschend.
Update vom 25. September: Die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan befindet sich wieder einmal in schwereren politischen Turbulenzen. Am Donnerstag hatte die Notenbank gegen den bislang erklären Willen Erdogans Maßnahmen gegen den Absturz der Lira ergriffen. Am Freitag gab es eine große Anzahl an Festnahmen aus offenbar politischen Gründen:
Die türkische Justiz hat nach offiziellen Angaben die Festnahme von 82 Menschen wegen Protestaktionen im Jahr 2014 angeordnet. Mehrere prominente Mitglieder der pro-kurdischen Partei HDP seien festgenommen worden, sagte Sprecherin Bermali Demirdögen. Darunter sei etwa der HDP-Bürgermeister der Stadt Kars im Osten der Türkei, Ayhan Bilgen.
Von offizieller Seite hieß es, Hintergrund der Ermittlungen seien Proteste im Südosten der Türkei im Jahr 2014. HDP-Vertreter hatten zu den Demonstrationen zum Schutz der von der Terrormiliz Islamischer Staat bedrängten syrisch-kurdischen Stadt Kobane aufgerufen. Mehr als 40 Menschen kamen damals beim Zusammenstoß rivalisierender Gruppen ums Leben. Die ehemaligen Vorsitzenden der Partei, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, wurden in diesem Zusammenhang verhaftet. Kurdische Kämpfer befreiten Kobane im Januar aus den Händen des IS.
Der HDP-Co-Vorsitzende Mithat Sancar sagte, die Angriffe auf die HDP seien unter anderem eine Reaktion auf die sinkenden Umfragewerte der Regierungspartei AKP. Sie wolle die HDP schwächen. „Ihnen gehen die Mittel gegen die HDP aus, darum graben sie alte Geschichten aus.“
Die türkische Lira hatte hingegen bis Donnerstagabend deutliche Gewinne verbucht. Ausschlaggebend war die Zinsentscheidung der türkischen Zentralbank. Entgegen den Erwartungen hob die Notenbank ihre Leitzinsen deutlich um zwei Prozentpunkte an. Sie dürfte damit vor allem gegen die in den vergangenen Wochen extrem schwache Lira vorgehen. Ökonomen fordern seit längerem eine Reaktion der Notenbank, allerdings steht die Zentralbank unter hohem politischen Druck: Staatschef Erdogan ist strikt gegen höhere Zinsen.
Gegen Erdogans Willen? Türkische Notenbank reagiert auf Lira-Crash - Folgen zeigen sich schnell
Erstmeldung: Ankara - Zum ersten Mal seit zwei Jahren hat die türkische Zentralbank den Leitzins angehoben. Die Währungshüter legten den Zinssatz am Donnerstag auf 10,25 Prozent fest. Zuvor hatte er bei 8,25 Prozent gelegen. Die Entscheidung ist eine große Überraschung: Die Notenbank steht laut Beobachtern eigentlich unter erheblichem Druck des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan - er verlangt niedrige Zinsen. Mit ihnen soll die Konjunktur gestützt werden.
Tatsächlich bekam die zuletzt stark unter Druck geratene Lira durch die Zinsentscheidung der Notenbanker wieder Aufwind. Nach der Mitteilung der Zentralbank legte die türkische Währung um rund ein Prozent zu. Zuvor war sie am Donnerstagmorgen auf einen historischen Tiefstwert von 7,71 zum Dollar gefallen.
Erdogan und die Lira-Krise: Wende in der türkischen Geldpolitik - gegen den Willendes Präsidenten?
Die Zinserhöhung markiert eine Trendwende in der türkischen Geldpolitik. Im September 2019 hatte die Notenbank mit Zinssenkungen begonnen. Zuvor hatte der Leitzins noch bei 19,75 Prozent gelegen.
Eigentlich war eine Zinserhöhung aus Sicht der meisten Ökonomen längst überfällig. Die türkische Lira stand zuletzt unter starkem Abwärtsdruck und war auf Rekordtiefstände sowohl im Verhältnis zum Dollar als auch zum Euro gefallen. Die Jahresinflationsrate lag im August bei fast 12 Prozent, die Teuerung wurde durch den Währungsverfall noch verstärkt.
Türkei: Wirtschaft stark unter Druck - Corona trifft das Land hart
In einer solchen Situation straffen Währungshüter tendenziell ihre Geldpolitik - etwa durch eine Leitzinsanhebung. Erdogan hatte aber in der Vergangenheit immer wieder niedrige Zinsen zur Stützung der Konjunktur verlangt.
Die türkische Wirtschaft steht derzeit stark unter Druck. Das Land wurde von der Corona-Krise hart getroffen und leidet unter einer schweren Rezession. Aber auch die außenpolitischen Konflikte mit Griechenland und Zypern unterminieren das Vertrauen. Die Ratingagentur Moody's hat zuletzt die Kreditwürdigkeit der Türkei herabgestuft und gleichzeitig mit einer weiteren Herabstufung gedroht.
Erdogan hatte in dieser Situation auch auf Erdgasfunde gebaut - doch selbst eine groß angekündigt "neue Ära" verhalf der Währung im August nicht zu neuer Stärke. Im Gegenteil. Wegen des Streits um die Ressourcen im Mittelmeer befindet sich die Türkei in einem sehr grundsätzlichen Streit mit der EU. (dpa/AFP/fn)