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Türkei-Deal in Kraft: Flüchtlinge kommen in Hannover an

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Am Montag kamen die ersten Flüchtlinge aus der Türkei in Hannover an.
Am Montag kamen die ersten Flüchtlinge aus der Türkei in Hannover an. © dpa

Athen/Istanbul - Die Rückführung von Flüchtlingen aus Griechenland in die Türkei hat begonnen. Busse brachten am Morgen Dutzende Migranten zum Hafen der Insel Lesbos, wie das griechische Fernsehen zeigte.

Nach Angaben der griechischen Polizei verlief die Rückführung der rund 200 Migranten am Montag reibungslos. Es habe sich fast ausschließlich um Migranten aus Pakistan und nordafrikanischen Staaten gehandelt, die keinen Anspruch auf Asyl hätten.

In zwei Linienmaschinen aus Istanbul landeten am Montag sechs syrische Familien am Flughafen Hannover, insgesamt 32 Frauen, Männer und Kinder kamen an. Sie waren vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR als besonders hilfsbedürftig ausgewählt worden. Die ersten Flüchtlingen kamen am Mittag im Lager Friedland bei Göttingen an, danach werden sie auf Städte und Gemeinden in Niedersachsen verteilt.

Die Schutzsuchenden wurden von Polizisten sowie Mitarbeitern des Technischen Hilfswerks und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Empfang genommen. Sie seien sehr aufgeregt und ein bisschen verängstigt, sagte Corinna Wicher vom BAMF nach der Ankunft der ersten 16 Syrer am Morgen. Die Familien hätten erst vor einer Woche erfahren, dass sie aus der Türkei nach Deutschland ausreisen können. Sie wüssten nicht genau, was sie nun erwarte.

In vielen EU-Ländern gibt es gegen die Aufnahme von Syrern Widerstände. Am Flughafen Hannover hielt am Morgen ein Mann ein Plakat mit der Aufschrift „Refugees not welcome“ in die Höhe. Die Flüchtlinge lehnten Interviews mit den zahlreichen internationalen Journalisten ab. „Sie werden in Friedland Zeit haben, ein bisschen Frieden zu bekommen“, sagte BAMF-Mitarbeiterin Corinna Wicher.

Von den griechischen Ägäis-Inseln Lesbos und Chios hatten am Morgen insgesamt drei Schiffe in Richtung türkisches Festland abgelegt. Nach Angaben des griechischen Krisenstabes waren 136 Migranten an Bord zweier Schiffe aus Lesbos. Ein drittes Schiff mit 66 Migranten startete von der griechischen Ägäisinsel Chios.

Auf dem Weg in den Hafen des westtürkischen Küstenortes Dikili wurden die Schiffe von der türkischen Küstenwache begleitet. Über dem Hafen kreiste ein Polizeihubschrauber. Wie ein dpa-Reporter berichtete, gingen die Flüchtlinge mit jeweils ein bis zwei Taschen von Bord in Richtung der Zelte, wo sie registriert werden sollten. Sie seien dabei von türkischen Beamten begleitet worden.

Am Hafen in Dikili entrollten einige Demonstranten ein Transparent mit der Aufschrift „Stoppt Abschiebungen“. Zu Zwischenfällen kam es zunächst nicht.

Mit dem umstrittenen Flüchtlingsabkommen will die EU den Zustrom von Migranten und Schutzsuchenden drosseln. Es sieht vor, dass alle Menschen, die seit dem 20. März illegal nach Griechenland übergesetzt sind, zwangsweise in die Türkei zurückgebracht werden können. Ausgenommen von den Rückführungen sind nur Menschen, die nachweisen können, dass sie in der Türkei verfolgt werden.

Für jeden aus Griechenland abgeschobenen Syrer soll ein Syrer aus der Türkei legal in der EU aufgenommen werden. Diese Regelung gilt zunächst für 72 000 syrische Flüchtlinge, die in der Türkei Zuflucht gesucht haben. Nach Deutschland sollen 15 000 von ihnen kommen.

In vielen EU-Ländern gibt es gegen die Aufnahme von Syrern Widerstände. Nach Angaben aus Regierungskreisen in Berlin wollen neben Deutschland Anfang der Woche auch die Niederlande, Frankreich, Finnland und voraussichtlich Portugal syrische Flüchtlinge aus der Türkei aufnehmen, und zwar in derselben Größenordnung wie die Bundesrepublik.

Im „Hotspot“ auf Lesbos begannen am Montag Flüchtlinge massenhaft Asylanträge zu stellen, um ihre Abschiebung hinauszuzögern. Von nun an gelte es, Asylanträge zu bearbeiten, bevor weitere Migranten in die Türkei zurückgeschickt werden könnten, sagte die Chefin der für Migration zuständigen Abteilung der griechischen Polizei, Zacharoula Tsirigoti.

Aus Kreisen der europäischen Grenzschutzagentur Frontex auf Lesbos hieß es, wegen der Antragsflut sei es nun umso wichtiger, dass zügig Asylexperten aus anderen europäischen Ländern nach Griechenland entsandt würden.

Nach den Grenzschließungen der Länder auf dem Balkan und der EU-Türkei-Einigung ist die sogenannte Balkanroute für Flüchtlinge endgültig dicht. In Deutschland ging die Zahl der Neuankömmlinge zuletzt massiv zurück. Bundesweit wurden im März nur noch rund 20 000 neue Flüchtlinge registriert. Im Februar waren es noch 61 428 gewesen, im Januar 91 671.

Die wichtigsten Fragen zur Umsetzung des Türkei-Deals im Überblick

„Rückführung“ in die Türkei, „Umsiedlung“ in die EU - der Flüchtlingspakt zwischen Brüssel und Ankara ist kompliziert. Und viele Probleme noch ungelöst. Wir beantworten die wichtigsten Fragen rund um den Türkei-Deal.

Was bedeutet die Vereinbarung für Deutschland? 
Die Bundesregierung hat sich bereiterklärt, in einem ersten Schritt 1600 syrische Flüchtlinge aus der Türkei aufzunehmen. Bei Bedarf wird Deutschland nach Angaben des Bundesinnenministeriums weitere 13 500 Plätze zur Verfügung stellen - insgesamt also gut 15 000.

In Hannover sind am Montag die ersten syrischen Flüchtlinge gelandet, die legal auf direktem Weg aus der Türkei in die Europäische Union einreisen durften. 24 Menschen kamen am Morgen in einer aus der Türkei kommenden Linienmaschine an. Sie werden mit einem Bus zunächst in das Erstaufnahmelager Friedland bei Göttingen gebracht, wie ein Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks sagte, der für den Transport verantwortlich ist. Am Mittag werden weitere 18 Flüchtlinge am Airport erwartet.

Wie werden die Menschen ausgewählt?
Die türkische Migrationsbehörde schickt zunächst eine Namensliste an das UN-Flüchtlingshilfswerk. Das UNHCR erstellt Dossiers über die Schutzbedürftigkeit der Genannten und schickt diese an die EU-Staaten, die sich zur Aufnahme bereiterklärt haben. Da die Flüchtlinge legal einreisen, brauchen sie ein Visum, das vom deutschen Generalkonsulat in Istanbul erteilt wird. Parallel dazu findet eine Sicherheitsüberprüfung statt.

Ist Deutschland das einzige Land, das von Anfang an mitmacht? 
Nein. Nach Angaben aus Regierungskreisen in Berlin wollen neben Deutschland Anfang der Woche auch die Niederlande, Frankreich, Finnland und voraussichtlich Portugal syrische Flüchtlinge aus der Türkei aufnehmen, und zwar in derselben Größenordnung wie die Bundesrepublik. Genaue Zahlen gibt es nicht. Die EU-Kommission, die bei Koordinierung eine zentrale Rolle spielt, hat sich dazu bisher nicht geäußert. Klar ist, dass es in vielen Ländern Widerstände gibt.

Wie sollen die Rückführungen aus Griechenland in die Türkei ablaufen? 
Nach den Plänen der griechischen Küstenwache und der europäischen Grenzschutzagentur Frontex sollen bis Mittwoch zunächst 750 Migranten mit zwei Schiffen von Mytilini, dem Hauptort der Insel Lesbos, in den Hafen von Dikili in der Westtürkei gebracht werden. Bei den Schiffen handelt es sich um den türkischen Katamaran „Nazli Jale“ und die türkische Kleinfähre „Lesbos“. Die erste Überfahrt soll gegen 10.00 Uhr Ortszeit (9.00 MESZ) in Mytilini starten. Jeder Flüchtling soll von einem Polizisten begleitet werden.

Haben die Behörden in Griechenland überhaupt genug Leute dafür? 
Nein. Seit dem 20. März sind etwa 5000 Menschen auf den Inseln der Ostägäis eingetroffen. Frontex verfügt bislang aber nicht einmal über die Hälfte der Polizisten, die für die Abschiebung erforderlich wäre. Wie eine Sprecherin der „Welt am Sonntag“ mitteilte, hatten die EU-Staaten bis zum Wochenende die Entsendung von knapp 700 Beamten und 44 Rückführungsexperten zugesagt - obwohl Frontex Mitte März 1500 Polizisten und 50 Experten angefordert hatte. Deutschland hat 30 Bundespolizisten und acht Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach Griechenland geschickt. Bis Ende der Woche sollen es 100 Bundespolizisten sein.

Wie hat sich die Türkei auf die Rücknahme der Migranten vorbereitet? 
Die ersten Rückkehrer aus Griechenland sollen nach türkischen Medienberichten ab Montag im westtürkischen Küstenbezirk Dikili eintreffen. Nach Angaben des türkischen Innenministeriums sollen die Flüchtlinge zunächst in Aufnahmezentren in mehreren Bezirken gebracht werden. Anschließen würden Syrer im Land verteilt, Afghanen oder Pakistaner gegebenenfalls abgeschoben.

Ob auch Flüchtlinge in Dikili untergebracht werden, ist offen. Nach Angaben des Bezirksbürgermeisters von Dikili, Mustafa Tosun, sind noch keinerlei Vorbereitungen getroffen worden. Die Regierung in Ankara habe die lokalen Behörden nicht über ihre Pläne informiert, sagt er. Eine nach Medienberichten geplante Flüchtlingsunterkunft sei noch nicht im Bau. Die türkische Regierung äußerte sich dazu zunächst nicht.

Wie reagiert die Bevölkerung in der Türkei? 
Die Aufnahme von Flüchtlingen stößt in der Hafenstadt Dikili zunehmend auf Widerstand. Hunderte demonstrierten am Wochenende gegen die Unterbringung weiterer Migranten. Bislang hatte die Küstenwache auf See aufgegriffene Migranten vorübergehend in Sporthallen gebracht. Mitte März hatten die Schutzsuchenden dagegen protestiert und Decken in Brand gesteckt.

Wie entwickeln sich die Flüchtlingszahlen hierzulande?
In Deutschland sind im März nur noch 20 000 neue Flüchtlinge registriert worden. Das ist ein dramatischer Rückgang. Im Februar waren es noch mehr als 60 000, im Januar mehr als 90 000. Mit dem EU-Türkei-Pakt hat das aber nichts zu tun, sondern vor allem damit, dass die Balkanländer seit Anfang März niemanden ohne gültigen Pass und Visum mehr passieren lassen. Damit ist die Balkanroute so gut wie dicht.

Grenzen auf, Grenzen zu, Deal mit der Türkei: Die Chronologie der Flüchtlingskrise

dpa/vf

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