Der „rechtsfreie-Raum“ Internet - Hass und Hetze werden nicht immer verfolgt

Eine Recherche des ZDF-Magazin Royale deckt Unzulänglichkeiten der Polizei im Rechtsraum Internet auf. Warum wir der Strafverfolgung im Netz mehr Wichtigkeit beimessen sollten.
Frankfurt – Mit dem letzten ZDF-Magazin Royale vor der Sommerpause hat Jan Böhmermann investigative Rechercheergebnisse von über einem Jahr veröffentlicht. Diese sehr detaillierte und aufwändige Recherche zeigt erneut, wie wichtig investigative Arbeit ist und was sie in einer Gesellschaft bewirken kann. Doch genug des Lobes – sehen wir uns an, was genau entdeckt wurde.
Das Thema: Strafverfolgung im Internet. Wer ist dafür überhaupt verantwortlich? Strafverfolgung ist in Deutschland Ländersache. Und somit bietet sich die Möglichkeit eines Feldversuches. In 16 Bundesländern wurden von 16 Korrespondent:innen eine Ansammlung von sieben Hass-Straftaten in Anzeige gegeben. Manch einer wollte diese erst einmal nicht annehmen. „Mei, ist halt das Internet“, muss sich die Korrespondentin in Bayern anhören. Er rät ihr, die Kommentare bei den Plattformen zu melden.
ZDF-Magazin Royale Recherche deckt eine Unfähigkeit der deutschen Behörden im Internet auf
Für jemanden der mit der Arbeitsweise der Polizei vertraut ist, ist das Rechercheergebnis, so ernüchternd es auch sein mag, keineswegs überraschend. Der gesamte Staatsapparat macht beim Thema Digitalisierung seit Jahr und Tag einen schlechten Eindruck. Das Fax-Gerät als Rückgrat des deutschen Verwaltungsapparats macht das mehr als deutlich.
ZDF-Magazin Royale vom 27. Mai 2022
Doch die deutsche Polizei hat auch Schritte in Richtung digitale Zukunft gemacht – mit der Online-Wache zum Beispiel könnte man Vergehen doch anzeigen, oder? Theoretisch ja, sofern man für diese keine Beweise benötigt, denn solche kann man dort nicht anhängen. Nur eines der Beispiele, die Böhmermann nutzt, um den nicht vorhandenen Willen zur Reform aufzuzeigen.
Nimmt jedoch ein Polizist eine Anzeige nicht auf, oder tut sein bestes dies nicht zu müssen, so handelt es sich um eine Straftat. Wie Politiker jedweder Couleur nicht müde werden zu erwähnen, ist das Internet kein rechtsfreier Raum.
ZDF-Magazin Royale: Welches Bild ergab die Auswertung?
Die Polizei Sachsen-Anhalt, hier als Beispiel, sah sich nicht in der Verantwortung: „Sie haben was im Internet gefunden?“, so der Polizist. „Vielleicht mal beim Verbraucherschutz nachfragen, worum geht es denn?“ Auf die Antwort der Korrespondentin: „Es geht um Hasskommentare im Netz“, antwortete dieser erneut nicht sehr hilfreich: „Die treten hundertfach im Netz auf, was sollen wir da machen? Da müssen sie den Betreiber der Internetseite kontaktieren. (…) Also beim besten Willen. Junge Frau, wenn hier jeder kommt, der Hasskommentare sieht.“
Die Korrespondentin merkte an, dies sei aber doch eine Straftat, worauf der Polizist mit: „ja, aber das ist doch keine Polizeiarbeit“. Nach kurzem hin und her und der Frage, ob man nichts besser zu tun hätte, stößt man erneut auf das grundlegende Problem der Strafverfolgung im Internet. Abschließend fragte sie, ob den eine Anzeige möglich wäre, worauf mit: „Nee, dann würden sie Schlange stehen dahinten irgendwo“, geantwortet wurde.
Und obwohl manch eine Polizeidirektion mit dem Thema durchaus besser und produktiver umgehen zu wusste als es in Sachsen-Anhalt der Fall war, so muss festgestellt werden, dass die Probleme wohl systematisch sind und auch in großen Teilen der Polizei wenig Verständnis für den Rechtsraum Internet besteht.
Hass und Hetze im Netz – Auch bei uns
Für Medienschaffende ist dieses Thema wahrlich nichts Neues. Themenabhängig werden unter Artikeln wilde Theorien aufgestellt, Gruppen, Organisationen oder Einzelpersonen beleidigt und mit Hass und Hetze überzogen. Um dem Herr zu werden, beschäftigt Ippen.Media ein Team von Community Managern in Vollzeit. An dieser Stelle ein Beispiel, wie auch hier bei sorgfältiger Arbeit und Dokumentation oftmals nichts geschieht.
Unter einem HNA-Artikel zu dem Thema: „Corona-Demo in Kassel: Darum gehen die Demonstranten zu Tausenden auf die Straße“ waren Kommentare wie dieses zu lesen, ein Auszug aus einer Facebook-Debatte unter dem Artikel: „Ich bin dafür, dass spezial für euch die KZ Lager mit spezial Einladung wieder eröffnet werden sollten. Da seid ihr definitiv richtig.“ (sic!)
Das Prozedere bei solchen Kommentaren ist, dass der Community Manager den Kommentar in ein eigens von der Staatsanwaltschaft München dafür angefertigtes Dokument einfügt, um dies direkt melden zu können. Oftmals wird eine Nichtverfolgung der Kommentare seitens der Staatsanwaltschaft auch gerechtfertigt. Nicht in dem Fall der KZ-Einladung. Das Community-Management sendete das Formular zur Prüfbitte mit allen Unterlagen ab, Inhalt mutmaßlich Volksverhetzung, § 130 StGB.
Mutmaßliche Volksverhetzung – Das geschah
Die betreffende Dame ließ sich über die KZ-Kommentare auch ausgiebig über Angela Merkel (Bundeskanzlerin A.D.) aus. Die Staatsanwaltschaft in München gibt diese Unterlagen stets an die betreffende Staatsanwaltschaft weiter und so kam von der Staatsanwaltschaft Kassel ein Brief bezüglich der Prüfbitte.
In dem Brief wird das Verfahren der mutmaßlichen Volksverhetzung eingestellt. Die Begründung: „Eine Volksverhetzung liegt nicht vor. Die Äußerung, dass „spezial für euch die KZ Lager mit spezial Einladung wieder eröffnet werden sollten“ beziehe sich nicht auf eine abgrenzbare Bevölkerungsgruppe, die in § 130 Absatz. 1 S. 1 näher definiert ist.“
Impfen und Corona: Radikalisierung beginnt oft im Internet
Richtig ist, dass das KZ-Posting sich nicht gegen eine „Rasse“ oder Ethnie richtet. Aber schon in Absatz 3 und 4 geht es um Verharmlosung und Verherrlichung der Taten der Nazis, was dann durch Absatz 2 in „oder zu einem Teil der Bevölkerung aufstachelt“ mündet. Es muss also nicht gegen eine Religion usw. gerichtet sein, sondern gegen eine Bevölkerungsgruppe – in diesem Fall die Impf- und Coronamaßnahmenbefürworter.
Dies zeigt erneut, dass auch ohne den „Umweg“ Polizei die Strafverfolgung im Netz oftmals eine geringe Priorität genießt. Angesicht dessen, dass die Radikalisierungen wie die des Tankstellenschützen Mario N. in Idar-Oberstein ebenso im Internet begann und nicht verfolgt wurde, kann sich durchaus gefragt werden, ob die Strafverfolgung im Netz nicht eine höhere Priorität in unserer Gesellschaft genießen sollte. (Lukas Zigo)