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Türkei: Ohne Anklage seit zwei Jahren in Isolationshaft

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Enver Altayli
Der 73-jährige Enver Altayli sitzt nach Angabe der Familie seit mehr als zwei Jahren wegen Terrorvorwürfen in Ankara in Isolationshaft. (Archivbild) © Familie Altayli/dpa

Enver Altayli sitzt seit zwei Jahren in Ankara im Gefängnis – ohne Anklage. Seine Tochter kämpft von Frankfurt aus verzweifelt für seine Freilassung.

Für die Frankfurter Ärztin Zeynep Potente ist der 20. August ein schwerer Tag. Ein Tag, an dem sie in Gedanken in der Türkei bei ihrem Vater ist. Denn Enver Altayli ist heute seit genau zwei Jahren in Haft. Der 74-Jährige, der die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft hat, sitzt in Einzelhaft im Gefängnis Sincan F1 in Ankara. Was ihm genau vorgeworfen wird, ist unklar. Denn eine Anklageschrift gibt es bis heute nicht. Seiner Tochter zufolge haben Altaylis Anwälte bis jetzt auch keinen Einblick in seine Akte erhalten.

„Die Isolation bedeutet eine unheimlich große psychische Belastung für meinen Vater“, sagt Zeynep Potente. Er werde seit einiger Zeit von einem Gefängnispsychologen betreut. „Wir machen uns große Sorgen“, sagt Potente. Er habe keinen Fernseher, kein Radio, keine Zeitungen, sei von der Welt da draußen vollkommen abgeschirmt, erzählt sie. Einmal die Woche dürfe er Familienbesuch empfangen, durch eine Glasscheibe getrennt. Einmal im Monat darf er die Besucher umarmen.

Arbeit für den Geheimdienst, Flucht nach Deutschland, Berater der Präsidenten

Altayli war am 20. August 2017 in Antalya festgenommen* worden. Seine Familie betreibt dort eine Ferienanlage. Der Jurist war den Angaben seiner Familie zufolge von 1968 bis 1973 beim türkischen Geheimdienst. Danach war er für die nationalistische Partei MHP aktiv, wandte sich aber später von ihr ab. Nach dem Militärputsch 1980 floh er nach Deutschland, lebte lange in Frankfurt und erwarb 1991 zur türkischen die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Sohn usbekischer Einwanderer und Russlandkritiker beriet später unter anderem die türkischen Präsidenten Özal und Demirel in zentralasiatischen Fragen.

Aus dem Protokoll von Anhörungen zu seiner U-Haft geht hervor, dass seine Festnahme im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die Gülen-Bewegung* steht. Die Regierung in Ankara macht den Prediger Fetullah Gülen für den Putschversuch gegen Staatschef Recep Tayyip Erdogan im Sommer 2016 verantwortlich. Altayli selbst leugnet jegliche Verbindung zu der Bewegung.

Seit Deniz Yücel und Mesale Tolu frei sind, lässt die Aufmerksamkeit nach

Seine Tochter Zeynep Potente hat im April das erste und bisher letzte Mal seit seiner Verhaftung mit ihrem Vater gesprochen - per Telefon. Eine Reise in die Türkei wagt sie nicht. Ihre jüngste Schwester, eine Anwältin, darf die Türkei nicht verlassen, auch ihr Mann ist in Haft. Potente versucht deshalb von Deutschland aus, die Öffentlichkeit auf den Fall Altayli aufmerksam zu machen. „Es macht mich traurig, wie wenig darüber berichtet wird“, erzählt sie. Seit der Freilassung der Journalisten Deniz Yücel* und Mesale Tolu* habe die Aufmerksamkeit für die Lage in der Türkei stark nachgelassen, beobachtet Potente. „Dabei hat sich nichts daran geändert, dass Zehntausende dort unschuldig im Gefängnis sitzen“, sagt sie. „Wie mein Vater.“

Ihre Familie setzt ihre Hoffnung nun auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Zwar sei ein Eilantrag auf sofortige Freilassung abgelehnt worden, die eigentliche Beschwerde laufe aber. „Wir fordern, dass endlich Anklage erhoben wird, damit wir eine Chance haben, dagegen vorzugehen“, sagt Potente.

Seit dem gescheiterten Putschversuch vor drei Jahren* sind immer wieder auch Deutsche in türkischen Gefängnissen gelandet. Viele Betroffene durften inzwischen ausreisen, ihre Prozesse gehen in Abwesenheit weiter. Altayli ist einer von drei der älteren bekannten Fälle, bei denen die Betroffenen noch in der Türkei sind. Die beiden anderen – eine Sängerin aus Köln und ein Mann aus Gießen – wurden im Herbst 2018 zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt. (mit dpa)

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Am 15. Juli 2016 scheiterte der Putschversuch gegen das Erdogan-Regime in der Türkei. Im Anschluss wurden Tausende Richter und Staatsanwälte verhaftet, auch Hülya und Mehmet Özkan, die jetzt in Deutschland im Exil leben. Sie sagen: „Auch das System Erdogan wird untergehen“*.

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