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Gauck kritisiert Strategie der „Letzten Generation“: Ex-Bundespräsident warnt vor „spezieller Moral“

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Maybrit Illner diskutiert mit Bundespräsident a.D. Joachim Gauck.
Maybrit Illner diskutiert mit Bundespräsident a.D. Joachim Gauck. © Jule Roehr/ZDF

Joachim Gauck gibt sich bei Maybrit Illner als strenger Verteidiger der Demokratie. Um diese zu verteidigen, braucht es weiter Waffenlieferungen an die Ukraine, so der Ex-Bundespräsident.

Berlin – Zum Jahresende geht es im ZDF-Polit-Talk „Maybrit Illner“ feierlich zu. Nachdem beim ZDF-Kollegen Markus Lanz in derselben Nacht der Jahresrückblick präsentiert wird, schaut auch Illner auf die Ereignisse des ausklingenden Jahres zurück. Ihr zur linken Seite sitzt im Einzelgespräch Alt-Bundespräsident Joachim Gauck, der sich selbst in der Sendung als „Großvater-Typ“ bezeichnet und nun bei Illner mit familiärem Habitus und im sympathischen Erzähler-Bariton die große Politik kommentieren darf.

Dem aufgezeichneten Gespräch vor- und nachgeschaltet sitzt eine Dreier-Runde, in der Grüne-Jugend-Vorsitzende Sarah-Lee Heinrich Gaucks Platz einnimmt, flankiert vom ehemaligen „heute-journal“-Moderator Claus Kleber und der Historikerin Prof. Hedwig Richter von der Bundeswehr-Universität in München.

„Maybrit Illner“ - diese Gäste diskutierten mit

Doch zunächst zu Gauck: Die klaren Worte des erfahrenen Staatsmannes entfalten beruhigende Wirkung, kommen aber selbst der Moderatorin an einigen Stellen zu heimelig daher. Als Gauck nach Bundeskanzler Olaf Scholz’ Haltung in der Ukraine-Politik gefragt wird und er antwortet: „Jetzt wollen wir ihn erstmal loben …“, muss Illner auflachen und setzt dem Staatsmann entgegen: „Weil Weihnachten ist …?!“. Gauck schaut kurz verdutzt, fängt sich aber schnell. Ernst befindet er, in Sachen Waffenlieferungen könnte es für ihn persönlich „schneller gehen“, doch wolle er nicht unter den Tisch fallen lassen, dass die „Zeitenwenderede“ des Bundeskanzlers vier Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, „günstig zu beurteilen“ sei.

Moderatorin Maybrit Illner mit ihren Gästen Claus Kleber, Sarah-Lee Heinrich und Prof. Hedwig Richter.
Moderatorin Maybrit Illner mit ihren Gästen Claus Kleber, Sarah-Lee Heinrich und Prof. Hedwig Richter. © Jule Roehr/ZDF

Putins Angriff: Joachim Gauck fordert bei Maybrit Illner mehr Waffen für die Ukraine

Sie habe das richtige „Bewusstsein“ erkennen lassen, so Gauck. „Zu einer Ansage der Zeitenwende gehört aber auch eine Politik der Zeitenwende“, mahnt er daher. „Das Elend in der Ukraine ist so groß, das ist alles so widerwärtig, dass wir mehr tun müssen!“. Der Bundespräsident ist sich aber sicher: „Scholz wird es tun“.

Die Angst vor den Konsequenzen der „Zeitenwende“ in einer Zeit vieler Umbrüche erklärt Gauck mit einem steten Bevölkerungsanteil von wertkonservativ eingestellten Menschen, die grundsätzlich „Angst vor der Moderne“ hätten und denen Veränderungen prinzipiell schwer fielen. „Viele sehen eine Entwicklung, in der sich so viel verändert, als Angst machend an“, erklärt der Staatsmann a.D. - das sei nicht nur in Deutschland die Lage.

Gauck verweist auf eine Studie, die diesen Umstand in über zwei Dutzend Ländern bei rund einem Drittel der Bevölkerung beziffert hätte. Viel kleiner sei dagegen der Anteil, die Gauck als „Demokratiefeinde“ bezeichnet. Die Gefahr bestünde hier ganz klar von der „extrem rechten“ Seite des politischen Spektrums. Gauck appelliert zur Besonnenheit, fordert aber auch zur Wehrhaftigkeit: „Wir müssen ertragen, wenn Menschen dumm bleiben wollen. Aber wir müssen nicht ertragen, wenn sie ganz grundsätzlich unsere Verfassung angreifen.“

Gauck hält die Gefahr durch „Demokratiefeinde“ überschaubar: „Haben stabile Mitte“

Gauck widerspricht der Auffassung, dass die rechtsradikalen mutmaßlichen Reichsbürger-Terroristen in der Mitte der Gesellschaft zu sehen seien. Gauck betont: „Wir haben eine überaus stabile Mitte.“ Bei den Rechtsradikalen seien auch viele „Spinner“, so Gauck und erklärt: „Sie werden niemals eine Regierung haben, die nur aus Tölpeln besteht.“ Angst machten ihm diese Leute nicht. Auch ZDF-Moderator Kleber sieht in „diesem Haufen“ der Reichsbürger nicht, dass daraus „irgendetwas Geordnetes, Gefährliches“ für die demokratische Ordnung des Landes wachsen könne. Er warnt aber vor Einzelaktionen wie dem Mord an Walter Lübcke, die ängstigten.

Prof. Hedwig Richter verwies auf die lange Geschichte rechtsradikalen Terrors in Deutschland, der sich durch viele Dekaden zöge, der aber vielen Menschen nicht bewusst sei. Bei Terror würden viele eher an die RAF und linksorientierte Gruppen denken, die Faktenlage sei aber eine andere. Dass bei der Reichsbürger-Razzia der vergangenen Woche auch ehemalige Soldaten verhaftet wurden, verwundert sie nicht. Auch Gauck befindet: „Das war schon immer so.“ Auch unter Juristen gebe es traditionell Rechtsradikale, so der ehemalige Pastor und verweist auf den Staatsrechtler Carl Schmitt aus den 1930er Jahren, der als einer der frühen Unterstützer Adolf Hitlers gilt.

Gauck hat wenig Verständnis für „Klimakleber“: Erwerben keine Sympathien

Als eine „ganz andere Sache“ ordnet Gauck die sogenannten „Klimakleber“ ein. Von ihnen ginge derzeit überhaupt keine Bedrohung der demokratischen Gesellschaft aus, stellt Gauck klar. Allerdings könnte sich eine destabilisierende Situation entwickeln, wenn „normüberschreitendes Handeln“ sich als Mittel zum Durchsetzen der eigenen Anliegen durchsetzen würde. Gauck warnt daher vor einer „speziellen Moral“ einzelner Gruppen, die prinzipiell schon eine Gefahr in sich berge, die rechtsstaatliche Ordnung zu untergraben.

Grüne-Jugend-Chefin Sarah-Lee Heinrich verteidigt später die Aktionen und verweist auf die „Verzweiflung“ junger Menschen, die sich ernsthaft um ihre Zukunft sorgten und lässt ein bisschen der Eindruck entstehen, als würde auch für sie der Zweck die Mittel heiligen. Genau hier zeigt sich der Unterschied zur der Haltung Gaucks, der klar stellt: „Ich darf nicht als Einzelner oder Gruppe mit einer speziellen Moral ausgestattet sagen: ‚Meine Moral ist wichtiger als die Normen unseres Rechts‘“. Gauck rief zu einem Überdenken der Aktionen auf: „Wenn über 80 Prozent der Menschen, die hier leben, diese Aktionen nicht gut finden, wobei 60 Prozent die Anliegen gut finden, dann ist offenbar die Strategie wenig geeignet, um Sympathien zu erwerben.“

Fazit des „Maybrit Illner“-Talks

Die Sendung bot einen Rückblick mit einem klugen Kopf und bodenständige Einordnung. Diese Art wünscht man sich öfters im deutschen Fernsehen. Vielleicht wäre es gesund, die ältere Generation, die nicht mehr in aktiven Ämtern eingebunden ist, regelmäßig zu Wort kommen zu lassen, nicht immer nur zum Jahresende. Vermutlich würde der Gesellschaft ein bisschen Weisheit und Lebenserfahrung von Zeit zu Zeit nicht schlecht tun. (Verena Schulemann)

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