Angespanntes deutsch-türkisches Verhältnis: Darum geht es im Streit

Berlin/Ankara - Der Ton wird rauer zwischen Deutschland und der Türkei: Spionagevorwürfe, Inhaftierung von Journalisten und vieles mehr - der Streit ist undurchsichtig. Wir erklären, worum es geht.
Mit dem Streit um Werbeauftritte türkischer Regierungspolitiker für die Verfassungsänderung in Deutschland haben die Beziehungen zwischen Berlin und Ankara einen neuen Tiefpunkt erreicht. Schon seit langem gibt es Belastungen im Verhältnis beider Staaten, zuletzt wegen der Inhaftierung des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel.
Werbeauftritte türkischer Politiker
Die öffentlicher Auftritte türkischer Politiker, mit denen für die geplante Verfassungsänderung geworben werden soll, sind den Politikern hierzulande ein Dorn im Auge. Denn mit dem neuen Gesetz will der islamisch-konservative Präsident Recep Tayyip Erdogan beispiellose Vollmachten für sich erreichen. Es besteht die Befürchtung, dass mit der Verfassungsänderung, über die am 16. April per Referendum abgestimmt wird, der Rechtsstaat ausgehöhlt und einer autoritären Ein-Mann-Herrschaft der Weg bereitet wird.
Schon der Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yilderim im Februar sorgte für Unbehagen in Deutschland. Bei einer für Donnerstagabend im baden-württembergischen Gaggenau geplanten Versammlung des türkischen Justizministers Bekir Bozdag zog die Stadt die Notbremse. Sie sagte die Versammlung kurzerhand ab. Die Reaktion Ankaras ließ nicht lange auf sich warten: Bozdag ließ seinerseits ein Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen Heiko Maas platzen, das am Donnerstag in Karlsruhe stattfinden sollte. Erdogan verglich das Vorgehen der deutschen Regierung in Sachen Wahlkampfauftritte wenig später mit Nazi-Praktiken.
Der Fall Yücel
Bei der geplanten Begegnung in Karlsruhe wollte sich Maas für den deutsch-türkischen Journalisten Yücel einsetzen, der seit dem 14. Februar in der Türkei festgehalten wird - zunächst in Polizeigewahrsam, seit Montagabend dann in Untersuchungshaft. Ihm werden von den Behörden Volksverhetzung und "Terrorpropaganda" zur Last gelegt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) fordert mit Nachdruck die Freilassung des Korrespondenten. Berlin hatte sich schon zuvor kritisch zur Inhaftierung von Journalisten und zur massenhaften Schließung kurdischer und anderer oppositioneller Medien geäußert.
Umgang mit dem Putsch
Zu einer deutlichen Abkühlung des deutsch-türkischen Verhältnisses war es bereits nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 gekommen: Nach den Geschehnissen, bei denen mehr als 240 Menschen getötet wurden, bemängelten türkische Politiker mangelnde Solidarität in Deutschland. Die Bundesregierung hatte sich zwar noch in der Putschnacht klar hinter Erdogan gestellt. Ankara beklagte aber, dass anschließend kein hochrangiger Vertreter Deutschlands in die Türkei kam, um seine Unterstützung auszudrücken.
Repressionen
Ein Grund für die relative Zurückhaltung der Bundesregierung waren die massiven Repressionen gegen die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird. Kritik aus Deutschland an der Entlassung und Inhaftierung zehntausender mutmaßlicher Gülen-Anhänger im Staatsdienst sowie an der Verfolgung kurdischer Oppositioneller wies Ankara verärgert zurück.
Spionagevorwürfe
In Deutschland wiederum sorgten Vorwürfe für Empörung, wonach Imame des Moscheeverbands Ditib im Auftrag der türkischen Religionsbehörde Diyanet Informationen zu Gülen-Anhängern gesammelt haben. Diyanet berief sechs Imame als "Zeichen des guten Willens" in die Türkei zurück, bestritt aber jedes Fehlverhalten und kritisierte, dass die deutsche Justiz mehrere Wohnungen islamischer Geistlicher durchsuchte.
Flüchtlingspakt
Wenn die Bundesregierung in ihrer Kritik trotz allem eher zurückhaltend ist, dann auch, weil sie in der Flüchtlingspolitik auf Ankara angewiesen ist. Auf Initiative Merkels hatte die EU im März 2016 mit der Türkei ein Abkommen geschlossen, das die Rücknahme aller Flüchtlinge vorsieht, die von der türkischen Küste auf die griechischen Ägäis-Inseln gelangen.
Die Türkei beklagte aber, dass Brüssel weniger Geld als vereinbart zur Versorgung der 2,7 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei gezahlt habe. Ankara kritisiert zudem, dass es keine Fortschritte bei der Gewährung von Visa-Freiheit für Türken gibt. Die EU fordert dafür aber eine Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetzgebung, was Ankara ablehnt.
Asylanträge von Offiziern
Für Streit sorgten auch die Asylanträge von rund 40 türkischen Offizieren in Deutschland, die Ankara nach dem Umsturzversuch zurückbeordert hatte.
afp