Gabriel sicher: „Merkel weiß, dass Seehofers Zeit vorüber ist“

Der Asylstreit zwischen Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Innenminister Horst Seehofer erreicht die SPD. Ihr früherer Chef Sigmar Gabriel spricht im Merkur-Interview darüber.
München - Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel geht nicht davon aus, dass der Streit zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer mit dem Asylkompromiss beigelegt ist. „Es ist eben sehr wahrscheinlich, dass dieser Konflikt innerhalb von CDU/CSU nur bis nach der bayerischen Landtagswahl vertagt ist“, sagte er am Dienstag vor einer Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion in Berlin. Die Wahl steht im Oktober an. Im Interview mit der Ippen-Digital-Zentralredaktion, zu der auch die Onlineredaktion des Münchner Merkur gehört, geht Gabriel noch einen Schritt weiter.
Herr Gabriel, was sagt der ehemalige Vize-Kanzler zu den vergangenen gut 48 Stunden Union-Drama?
Es sollte geradezu undenkbar sein, dass eine Regionalpartei tagelang Europa in Atem hält. Man kann nicht Trumps ‚America first’ kritisieren und selbst ‚Bavaria first’ spielen. Franz Josef Strauß würde sich im Grabe umdrehen, wenn er mitbekommen würde, dass die CSU anti-europäisch handelt. Strauß hat einmal mit der Idee geliebäugelt, die CSU auf die Bundesebene auszudehnen, aber er hätte niemals bei einer Politik gegen Europa mitgemacht. Dafür war er viel zu geschichtsbewusst. Dieser Kurs hätte die Bundesregierung beinahe handlungsunfähig gemacht und das in diesen Zeiten. Europa braucht ein starkes Deutschland.
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Sie legten Horst Seehofer noch am Montag den sofortigen Rücktritt nahe. Auch heute noch?
Es kann nicht sein, dass ein Minister eine Bundeskanzlerin erpresst. Da habe ich ein völlig anderes Regierungsverständnis. Wenn man in einer Sachfrage nicht mit der Kanzlerin übereinstimmt, muss man gehen. Das ist eine Frage der Staatsräson. Was Seehofer jetzt versucht hat, ist, die ganze Regierung in Geiselhaft zu nehmen. Und die Umfragen zeigen, dass die Bürger es nicht gut heißen, wenn eine Partei versucht, das Land ins Chaos zu stürzen. Und das wäre passiert. Was Seehofer macht, hilft nur der AfD.
Gabriel über Merkel: „Sie weiß, die Zeit von Seehofer ist vorüber“
Warum hat Merkel Seehofer dann nicht einfach fallen lassen? Nie wäre es so einfach gewesen, ihren schärfsten Kritiker loszuwerden wie dieses Mal.
Merkel hat Seehofer nicht entlassen, weil der Bruch der Koalition auf dem Spiel stand. Aber sie weiß auch: die Zeit von Horst Seehofer ist vorüber. Er bleibt nicht bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt. Die CSU wird die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl in Bayern nicht bekommen, dann geht das Spiel der CSU um den Vorsitz von neuem los.
Wer hat sich am Ende durchgesetzt: Merkel oder Seehofer?
Merkel natürlich. Sie hat sich europaweit und gegen die CSU durchgesetzt und nationale Alleingänge verhindert. Das war auch richtig.

Und Ihre SPD? Welches Zeugnis würden Sie der Führungsspitze in diesem wochenlangen Asylstreit geben? Man hätte ja zeitweise meinen können, es gebe nur noch zwei Regierungsparteien, die CDU und die CSU.
Die SPD Führung wird ganz sicher nicht zulassen, dass die CSU zuerst die CDU und jetzt die SPD am Nasenring durch die Manege zieht. Es geht jetzt darum zu zeigen, dass wir nicht die Ausputzer der Union sind. Die SPD darf sich nicht in die babylonische Gefangenschaft der Union begeben. Bei einem Paket „Seehofer plus CSU-Maximalforderungen“ würde die SPD zum Erfüllungsgehilfen. Wir sind aber nicht die Funktionspartei, die dem Burgfrieden zwischen CDU und CSU dient. Wir werden nicht zulassen, dass am Ende die Konservativen sagen: „seht her, der SPD kann man alles zumuten“. Das wäre ein schlimmes Signal auch für andere wichtige Gesetzesvorhaben. Das wird die SPD-Führung gewiss nicht zulassen.
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Gabriel: „Seehofer wird nach der Landtagswahl nicht mehr CSU-Chef sein“
Dennoch: Geht die SPD bei den Transitzonen mit? 2015 scheiterten diese noch am Veto der SPD unter ihrer Führung.
Damals lehnten wir die Transitzonen ab, weil pro Tag tausende Flüchtlinge zu uns kamen. Die Idee, die alle zu inhaftieren, war doch Wahnsinn. Wie viele Fußballstadien hätten wir denn beschlagnahmen sollen für diese Haftzonen? Und auch, wenn es heute Gott sei Dank viel weniger sind, können wir doch nicht alle einfach inhaftieren. Da wird noch viel zu beraten sein. Denn einfach die Flüchtlinge wochenlang in Haftzonen zu stecken, wie das die CSU damals wollte, wäre auch heute das Gegenteil einer Flüchtlingspolitik. Warum fängt der CSU-Innenminister nicht endlich mal an, die vereinbarten Ankerzentren umzusetzen. Das wäre mal ein guter Schritt.
Sie kennen beide seit Jahren: Wie können Merkel und Seehofer nach den Aussagen Seehofers gegenüber der Kanzlerin noch miteinander regieren?
Ich finde, dass Disziplin eine Tugend ist – und Merkel hat die. Ob Seehofer diese auch hat, wird man sehen. Aber nochmal: Wir reden hier von Monaten. Seehofer wird nach der Landtagswahl nicht mehr CSU-Chef sein.
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