Wegen Ukraine-Krieg viel schneller? Kanzler Scholz will sechs Balkan-Länder in EU holen - „Dynamisieren“

Serbien und Bosnien-Herzegowina sollen schnell in die EU, um sie dem politischen Einfluss durch Russland zu entziehen. Olaf Scholz drückt jetzt aufs Tempo. Es geht um weitere Länder vom Westbalkan.
München/Berlin - Am Tag, an dem Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) Butscha und Kiew mitten im Russland-Ukraine-Krieg besuchte, ging ein außenpolitisches Manöver von Kanzler Olaf Scholz (SPD) beinahe unter. Der deutsche Regierungschef traf sich im Bundeskanzleramt mit Belgiens Premier Alexander De Croo (Open VLD). Im Fokus stand bei den Gesprächen freilich der Ukraine-Konflikt.
Russland-Ukraine-Krieg: EU und Nato werben um Einfluss auf dem Westbalkan
Neben der Lieferung von Waffen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland ging es auch darum, wie der Einfluss von Moskau-Machthaber Wladimir Putin auf dem Westbalkan eingeschränkt werden kann. Im Fokus: Serbien.
Das Land ist seit Langem ein Verbündeter Russlands, hatte sich durch den angestrebten EU-Beitritt in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten aber nach und nach dem Westen zugewandt. Selbst die aktuell regierende Serbische Fortschrittspartei, die dem rechtskonservativen und nationalistischen Spektrum zuzuordnen ist, verfolgt den pro-europäischen Kurs.
Im Video: Kompakt - Die News zum Russland-Ukraine-Krieg
Ein Rückblick: Als Russland 2014 die Krim am Schwarzen Meer völkerrechtswidrig überfiel, lehnte Belgrad Sanktionen gegen Moskau ab. Der damalige serbische Außenminister Ivica Dacic erklärte: „Serbien will EU-Mitglied werden. Das ist unser nationales und staatliches Interesse. Aber Serbien will und wird niemals gegen Russland sein. Unsere EU-Mitgliedschaft wird keineswegs unsere Verbindungen mit Russland schwächen oder gar abbrechen.“
Die Nähe zu Russland hat historische Gründe. Nur ein Beispiel: Als im Juli 1914 zu Beginn des Ersten Weltkriegs Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärte, sprang Moskau Belgrad mit seinen Truppen militärisch zur Seite.
EU-Beitrittsverhandlungen: Fortschritte der Länder auf dem Westbalkan, Stand 10. Mai 2022
- Serbien (rund 7 Millionen Einwohner): Das Land hatte am 22. Dezember 2009 den offiziellen Antrag auf Mitgliedschaft in der EU gestellt. Serbien hat seit März 2012 den Status eines Beitrittskandidaten. Seitdem fanden in Brüssel dreizehn Tagungen der Beitrittskonferenz auf Ministerebene statt. 18 von 35 Kapiteln sind abgehandelt.
- Montenegro (rund 620.000 Einwohner): Das kleine Land ist seit Dezember 2010 EU-Beitrittskandidat. Mittlerweile sind alle der 35 Verhandlungskapitel eröffnet. Vierzehnmal wurde miteinander getagt.
- Nordmazedonien (rund 2,1 Millionen Einwohner): Das Land hat seit 2005 den Status eines Beitrittslandes. Beitrittsverhandlungen wurden jedoch erst im März 2020 beschlossen. Der Beginn der Verhandlungen hat sich zuletzt jedoch verzögert.
- Albanien (rund 2,8 Millionen Einwohner): Das Land an der Adriaküste hatte seinen Beitrittsantrag am 24. April 2009 eingereicht. Seit dem 24. Juni 2014 ist Albanien offizieller Beitrittskandidat. Aber auch in diesem Fall verzögern sich konkrete Verhandlungen seit Jahren.
- Bosnien und Herzegowina (rund 3,3 Millionen Einwohner): Gilt als potenzieller Bewerber. Die EU bekennt sich zur Mitgliedschaft des Balkanlandes, insofern es die Kriterien für die Aufnahme erfüllt.
- Kosovo (rund 1,8 Millionen Einwohner): Gilt als potenzieller Bewerber. Die EU bekennt sich zur Mitgliedschaft des Balkanlandes, insofern es die Kriterien für die Aufnahme erfüllt.
Quelle: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Die Beitrittskandidaten der EU, Stand 10. Mai 2022
Ukraine-News: Serbien steht Russland politisch nahe - und der EU wirtschaftlich
Doch: Die serbische Wirtschaft ist heute besonders von der Europäischen Union (EU) abhängig. Ein Vergleich: Laut Deutschlandfunk lieferte Serbien zwischen 2007 und 2013 Waren für gut vier Milliarden Euro an Russland. An die EU gingen im selben Zeitraum Waren für fast 33 Milliarden Euro. Umgekehrt überstiegen die Investitionen der EU in Serbien diejenigen Russlands damals um das Vierfache. Die EU-Beitrittsverhandlungen gerieten zuletzt etwas ins Stocken. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs bemühen sich die westlichen Staaten nun offenbar verstärkt um den Partner an der Save.
So lud Kanzler Scholz Anfang Mai den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić nach Berlin ein. Der deutsche Regierungschef kam auch mit dem kosovarischen Premierminister Albin Kurti zusammen. Scholz betonte, Fortschritte im Streit zwischen Serbien und dem Kosovo seien von „enormer Bedeutung“ auf dem Weg hin zu einer EU-Mitgliedschaft beider Länder. Dabei hat der Kosovo noch nicht einmal einen Antrag gestellt. Seit 2003 ist das kleine Land eine Teilregion der Republik Serbien, das die Unabhängigkeit von Pristina nach den blutigen Auseinandersetzungen im Kosovokrieg (1998 - 1999) anzweifelt. Scholz will jetzt vermitteln. Und nicht nur er.

Russland-Ukraine-News: Nato und EU bemühen sich um Stabilität in Bosnien und Herzegowina
So ist der Westen seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine auch um mehr Stabilität im fragilen Bosnien und Herzegowina bemüht. Hier macht die Republika Srpska Sorgen. Im Januar beging die serbische Teilrepublik des Landes, die ihr eigenes politisches System hat, den 30. Jahrestag ihrer Gründung - obwohl das Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegowina das verboten hatte. Auch US-Sanktionen hielten die politische Führung in Banja Luka nicht davon ab. Milorad Dodik, der serbische Vertreter in der dreiköpfigen Präsidentschaft Bosnien-Herzegowinas, lud stattdessen den russischen Botschafter ein. Dodik wird nicht zuletzt eine große Nähe zu Moskau-Machthaber Putin nachgesagt. Mehr noch: Die USA werfen dem Kreml vor, Abspaltungsbestrebungen der bosnischen Serben zu unterstützen.
Zuletzt kündigten sowohl US-Präsident Joe Biden als auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg an, die militärische Präsenz mit Blick auf Bosnien und Herzegowina auf dem Westbalkan verstärken zu wollen. In diesen Kontext passen die Aussagen des deutschen Kanzlers Scholz von diesem Dienstag (10. Mai), die EU-Betrittsgespräche „mit den sechs Ländern auf dem Balkan dynamisieren“ und beschleunigen zu wollen. Neben Serbien und Bosnien-Herzegowina geht es dabei um Montenegro, Albanien, Nordmazedonien und den Kosovo. Um Putins Einfluss auf diesen Teil der Welt möglichst einzudämmen. (pm)