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Ukraine-Krieg: Deutschland nicht in „völlig sicherer Position“? Lambrecht lässt bei „Illner“ aufhorchen

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Die Talkrunde bei „Maybrit Illner“ (ZDF) am 31.03.2022.
Die Talkrunde bei „Maybrit Illner“ (ZDF) am 31.03.2022. © Svea Pietschmann/ZDF

„Krieg in der Ukraine – Zeitenwende für Deutschland?“, hakt Maybrit Illner in ihrem Talk im ZDF zu dem Schlagwort von Olaf Scholz nach. Hat sich bislang wirklich so viel verändert? 

Berlin – „Zu glauben, dass wir in einer völlig sicheren Position sind und dass uns in den nächsten Monaten überhaupt nichts passieren kann, kann ich so nicht bestätigen“ - Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) lässt den ernüchternden Satz zur deutschen Wehrfähigkeit bei „Maybrit Illner“* fast nebenbei fallen. Es braucht Unterstützung von Welt-Journalist Robin Alexander, damit das wuchtige Eingeständnis im Talk zum Ukraine-Konflikt* nicht vollständig untergeht.

Nach Bundeskanzler Olaf Scholz‘ Ankündigung über zusätzliche 100 Milliarden Euro für den Verteidigungshaushalt, will Illner dazu Details von Lambrecht, die von ihrer umstrittenen „Klassenfahrt“ aus New York* zugeschaltet ist: Wie verhält es sich mit der Abwehrbereitschaft der Bundeswehr? Und: Wie lange wird’s dann bis zur Einsatzbereitschaft dauern?

Lambrecht spricht bei „Illner“ über den Ukraine-Krieg - Ministerin verliert sich in Details

Lambrecht setzt den Rahmen: Es gehe nicht darum, „nur aufzurüsten“, so die Ministerin, es gehe darum, dass „wir endlich die Ausrüstung haben, die wir brauchen“, um überhaupt „in der Nato und für unsere Landesverteidigung umfassend aufgestellt zu sein“. BDI-Chef Siegfried Russwurm ist angesichts dieser Lage „persönlich hochgradig beunruhigt“ - doch Lambrecht hat offenbar die Ruhe weg.

Die SPD-Frau spricht von „Defiziten in der Bundeswehr“, die zu beheben seien, verliert sich in Details wie der Beschaffungsfrage von „kompatiblen Funkgeräten“, die man brauche, um Nato-Einsätze abzustimmen, der Entwicklung von Soldatenrucksäcken und rechtfertigt dann auch noch erneut die 5000-Helme-Lieferung an die Ukraine - mit der Begründung, in dem Bittbrief habe doch „keine Zahl gestanden!“

„Maybrit Illner“ - diese Gäste diskutierten mit:

Auch beim Zeitrahmen für Beschaffungen scheint Lambrecht eine Engelsgeduld an den Tag zu legen: „Wenn ich über zügig rede, heißt das über Jahre,“ die für neue Anschaffungen eingeplant werden müssten, übersetzt die Ministerin sich selbst. Se erklärt den Zeitrahmen mit „sehr langwierigen Ankaufsverfahren“.

Auch der Oppositions- und CDU-Politiker Roderich Kiesewetter scheint die „Zeitenwende“ noch nicht ganz verinnerlicht zu haben. Er befindet, man müsse an die Waffenbeschaffung „nüchtern und strategisch langsam“ herangehen und die passenden Waffen zur jeweiligen Bedrohung aussuchen - ein Prozess, der „mindestens zwei Jahre“ dauern werde.

Bei so viel Gelassenheit angesichts des brutalen Angriffskrieges mit schockierenden Opferzahlen in der Ukraine, lediglich zwei Flugstunden von Berlin entfernt, platzt Russwurm schließlich der Kragen, er fordert deutlich mehr Tempo: „Mauern einreißen“, auf bisherige „Richtlinien“ und „gewisse Spezifikationen“ verzichten, um „schneller“ zu handeln. CDU-Mann Kieswetter springt auf den Zug auf und fordert „eine Organisationsreform“ beim Bund.

Ukraine-Krieg: „Politische Fehlentscheidungen“ der SPD in Sachen Bundeswehr?

Auch Alexander kann die Ausführungen Lambrechts nicht nachvollziehen und ringt zeitweilig um Fassung. Fast schon zynisch merkt er an, dass man „sich um die deutsche Rüstungsindustrie keine Sorgen“ machen muss, „der viertgrößte Rüstungsexporteur der Welt“. Alexander gibt zu verstehen, dass es nicht an Lieferschwierigkeiten liegen könne, wenn die Bundeswehr etwas nicht kann, „was sie dringend können muss“, sondern vor allem an „politischen Fehlentscheidungen“.

Alexander nennt Bespiele: Der - allerdings mittlerweile bereits wieder umstrittene - F35-Flieger* sei verhindert worden, „die SPD hat sich dagegen gewehrt“, genauso gegen die Beschaffung von Drohnen, die von SPD-Politikern noch kurz vor der Wahl als „das Töten per Joystick“ abgewiegelt worden sei - oder auch dem Auffüllen von Munitionslagern, die bereits seit 2013 „leer“ seien, wie Kiesewetter einwirft. Der CDU-Mann rügt, man habe „über 20 Jahre die Bundeswehr als finanziellen Steinbruch für andere Haushalte“ behandelt.

Alexander ist kritischer: „Die Politik von Frau Merkel und Herrn Steinmeier war historisch falsch“, stellt er fest. Deutschland habe Wladimir Putin die „Illusion gegeben“, wir wären „käuflich“, das „müssen wir aufarbeiten“, mahnt Alexander. Statt jetzt zu fragen: „Wie halten wir es durch, wenn das Gas nicht mehr kommt?“, müsse die Bundesrepublik fragen: „Wie halten wir es denn durch, wenn der Krieg weitergeht?“ Der Journalist malt den - vielleicht aber auch nicht mehr ganz unrealistischen - Teufel an die Wand: „Die Amerikaner warnen, dass der Chemiewaffeneinsatz eine Option ist. Wenn das passiert, in einer Großstadt, 30.000 Tote: Wollen wir dann weiterzahlen?“

Klimaaktivistin Neubauer kritisiert Oberflächlichkeit der Bundesregierung

Klimaaktivistin und Grünen-Mitglied Luisa Neubauer ist da ganz bei ihm und spricht sich zum einen für mehr militärische Unterstützung Deutschlands der Ukraine aus - aber auch für einen Stopp der Öl- und Gaslieferungen aus Russland: „Wann kommt denn eigentlich der Punkt, wo wir anerkennen, dass wir nicht nur die Ukraine ausrüsten, sondern auch Putin?“, echauffiert sich die Studentin.

Die 25-Jährige - und mit Abstand Jüngste in der Runde - zählt die Denkfehler auf, die ihr von der Elterngeneration vermittelt worden seien: „Euch wird es besser gehen! Es gibt keinen Krieg mehr in Europa! Und: Merkel macht schon!“ Illner muss über den letzten Teil auflachen - doch Neubauer ist das ernst: Diese Ordnung breche gerade zusammen. Sie fordert auch aus diesem Grund mehr Haltung von der Bundesregierung: „Dieses Oberflächliche, wir ‚Können es nicht wegen dem sozialen Frieden’“ sei „demokratisch tragisch“, so Neubauer. Sie vermisst die „Augenhöhe“ in der Debatte, sieht aber auch ein Problem darin, zu implizieren, dass es „überhaupt keine Möglichkeit geben würde, ein Embargo durchzusetzen“. Wenig später verteidigt Vizekanzler Robert Habeck bei „Lanz“ die Haltung der Bundesregierung zum Embargo.

Auch Industrie-Chef Russwurm, der eben beim Thema Aufrüstung für mehr ukrainische Unterstützung war, zeigt sich beim Gas-Stopp plötzlich restriktiv: „Wir finanzieren mit dem Import von Gas aus Russland das russische System, aber wir finanzieren nicht den Krieg“, versucht er zu rechtfertigen. Wie instabil die Lage ist, macht dagegen Expertin Jana Puglierin mit ihrer militärischen Analyse der Situation an den ukrainischen Fronten deutlich: „Es geht darum, weiter ukrainische Kräfte zu binden, gleichzeitig einen Transfer russischer Truppen in den Donbass vorzubereiten und dort einen erneuten Angriff zu starten“, urteilt sie über Wladimir Putins Strategie nach den Verhandlungen vom Dienstag.

Fazit des „Maybrit Illner“-Talks

Robin Alexander hält den Zuschauern bei Maybrit Illner den gesellschaftlichen Spiegel vor: „Putin hat das, was er jetzt tut, schon einmal getan: in Syrien. Und wir haben trotzdem weiter mit ihm Geschäfte gemacht. Er dachte augenscheinlich, dass er weitermachen kann!“ Die Sendung bringt noch eine zweite Ernüchterung: Über eine scheinbar derzeit kaum verteidigungsbereite Bundeswehr. (Verena Schulemann)

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