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„Urlaub in Syrien“: Seehofer befeuert Aufregung - was ist an den Vorwürfen gegen Flüchtlinge dran?

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Von: Florian Naumann

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Machen Flüchtlinge wirklich freiwillig „Urlaub“ in ihrem Heimatland Syrien, das durch den Bürgerkrieg schlimm zerstört wurde?
Machen Flüchtlinge wirklich freiwillig „Urlaub“ in ihrem Heimatland Syrien, das durch den Bürgerkrieg schlimm zerstört wurde? © picture alliance/dpa / Anas Alkharboutli

Machen anerkannte Asylsuchende „Urlaub“ in Syrien? Entsprechende Berichte sorgen im Netz für Aufregung. Doch ein genauerer Blick lohnt.

München/Berlin - Innenminister Horst Seehofer (CSU) und die Bild-Zeitung haben am Wochenende ein brisantes Thema wieder in die Schlagzeilen gebracht: Es geht um Heimatreisen von anerkannten syrischen Kriegsflüchtlingen - und um die Frage, ob ein „Urlaub“ im Kriegsgebiet mit einem Asyl in Deutschland in Widerspruch steht.

"Wer als syrischer Flüchtling regelmäßig in Syrien Urlaub macht, der kann sich ja nicht ernsthaft darauf berufen, in Syrien verfolgt zu werden", sagte Seehofer der Bild am Sonntag. Die Forderung des Bundesinnenministers: „Dem müssen wir den Flüchtlingsstatus entziehen“. Das Blatt hatte zuvor berichtet, in Berlin gebe es gar Reisebüros, die für 800 Euro pauschal eine Reise von Deutschland in das bürgerkriegsgebeutelte Land organisieren.

„Urlaub in Syrien“ - Seehofer befeuert Aufregung - Was ist dran an Vorwürfen gegen Flüchtlinge?

Der Gedanke an „Urlaub vom Asyl“ sorgte für zornige Posts in den sozialen Medien. Die AfD zog am Montag nach - Fraktionschef Alexander Gauland persönlich meldete sich zu Wort: „Deutlicher können die Betroffenen nicht zeigen, dass sie die Hilfsbereitschaft Deutschlands missbrauchen. Natürlich müssen diese Menschen sofort abgeschoben werden“, sagte er. Aber auch große Medien schlossen sich in markigen Worten der Kritik an - von einer „Verhöhnung der deutschen Gastfreundschaft“ war im Bild-Schwesterblatt Welt zu lesen.

Gleichwohl dürften es vor allem zwei Worte sein, die zum einen die Aufregung befeuerten und zum anderen Seehofers Ankündigung relevant bis brisant erscheinen ließen: „Urlaub“. Und „Flüchtlingsstatus“. Genau an diesen beiden Punkten ist die Lage aber wohl nicht so klar, wie sie auf den ersten Blick scheint. Ein Faktencheck:

Asylsuchende aus Syrien - Stichwort „Urlaub“: Machen Geflüchtete Erholungsreisen nach Syrien?

Auszuschließen ist das nicht. Gleichwohl passen die im Artikel der Bild genannten Beispiele nur bedingt zu den Assoziationen, die die „Vokabel“ Urlaub bei den meisten Lesern wohl weckt.

Zwei Geflüchtete zitierte das Blatt: „Ich habe meine drei Kinder besucht. Ich würde es wieder tun, selbst wenn ich meinen Aufenthaltstitel verlieren würde“, erklärte eine syrische Mutter aus Bayern - sie benutzte gleichwohl offenbar selbst das Wort „Urlaub“ für das Wiedersehen. Eine weitere Frau berichtete, sie habe ihren kranken Vater in Damaskus besucht. Sie bekannte: „Ich habe die deutschen Behörden nicht informiert, weil ich Angst hatte, dass mein Asylrecht zurückgenommen wird.“

Prominent zitierte die Bild auch den syrischen Blogger Aras Bacho. In einem Tweet hatte er Anfang Juli provokant von „sechs Syrern“ berichtet, die Urlaub in ihrem Heimatland machten, um Familienmitglieder zu besuchen und „bisschen Ruhe zu haben, vor allem von Deutschland“. Gerade dieser Post befeuerte weitere heftige Kritik. Am Sonntag spezifizierte Bacho allerdings auch: „Urlaub: Nicht am Strand liegen oder ins Hotel gehen, sondern kranke Familienmitglieder oder Eltern wiederzusehen. Viele verstehen die Bedeutung falsch.“

Zu Wort meldete sich am Wochenende auch der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz. „Nach Syrien reist niemand, um sich zu erholen“, twitterte er unter Verweis auf ein Buch zum Krieg in Syrien. Diakonie-Vorstandsmitglied Maria Loheide bestätigte diese Einschätzung auf Anfrage von RP-Online. Geflüchtete, die nach Syrien zurückkehrten, täten dies „etwa, um den Entzug ihrer Häuser durch das Assad-Regime zu verhindern oder nahen Angehörigen in lebensbedrohlichen Situationen beizustehen, zum Beispiel im Sterben liegenden Eltern".

Wie oft generell Reisen von anerkannten Flüchtlingen nach Syrien vorkommen, ist unklar. Es gibt Berichte über Einzelfälle - nicht aber über massenhafte Bewegungen, oder gar Statistiken. „Zahlen oder Schätzungen zu (anerkannten) Schutzsuchenden, die in ihr Heimatland gereist sind, liegen dem Bundesamt nicht vor“, teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am Montag RP-Online mit.

Fazit: Plausibel scheint, dass die Möglichkeit zu Reisen nach Syrien besteht und dass sie teils auch genutzt wird. Das Wort „Urlaub“ dürfte in der überwiegenden Zahl der Fälle aber in die Irre führen. Bekannt sind vor allem Fälle von Familienbesuchen - diese haben vielfach auch rechtlich einen besonderen Status und sind nicht per se illegal (siehe unten). 

Urlaub in Syrien? Stichwort „Flüchtlingsstatus“: Was ist erlaubt und was nicht - und wann droht die Abschiebung?

Auf Twitter hat sich auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zur Frage geäußert. Das BAMF stellte klar: Die Rückreise in das Herkunftsland kann schon jetzt die Widerrufung des Flüchtlingsstatus oder die Rücknahme der „Schutzgewährung“ zur Folge haben. In diesem Lichte ist Horst Seehofers Ankündigung also keine Neuigkeit.

Wichtig ist in diesem Kontext aber auch das Wörtchen „kann“. Es gebe auch Fälle, in denen eine kurze Rückreise ins Heimatland möglich sei. Eine Reise zur „Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung“ sei nach gültiger Rechtssprechung kein Widerruf-Grund. Dazu zählten etwa „Teilnahme an einer Beerdigung oder der Besuch eines schwerkranken Familienangehörigen“. Generell seien immer die Umstände des Einzelfalls zu prüfen.

Die Linke-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke gab der Bundesregierung eine Mitschuld daran, dass sich Geflüchtete überhaupt auf den Weg nach Syrien machen. „Solche gefährlichen Reisen sind vielmehr die brutale Konsequenz einer restriktiven Familiennachzugspolitik, mit der die Bundesregierung dafür sorgt, dass Familien viele Jahre lang voneinander getrennt bleiben und sogar Kleinkinder im Kriegsgebiet zurückbleiben“, erklärte sie am Montag.

Eine wichtige Notiz zu Seehofers Äußerung: Der „Entzug des Flüchtlingsstatus“, mit dem Seehofer drohte, ist nicht gleichbedeutend mit einer Abschiebung, wie man meinen könnte - und es offensichtlich auch die AfD in ihrer Replik verstand. Auch ohne Flüchtlingsstatus können „Abschiebeverbote“ bestehen bleiben, etwa, wenn im Herkunftsland unmittelbare Gefahr für Leib und Leben bestehen würde.

Kann aber im Herkunftsland überhaupt „Gefahr für Leib und Leben“ bestehen, wenn Menschen freiwillig dorthin reisen? Per se ausschließen lässt sich das nicht - ein kürzerer Aufenthalt lässt sich in der korrupten syrischen Staatsorganisation womöglich leichter sicher gestalten, als eine dauerhafte Rückkehr. Das syrische Netzwerk für Menschenrechte hat in jedem Fall nach eigenen Angaben von 2014 bis August 2019 1.916 Fälle registriert, in denen Menschen nach ihrer Rückkehr nach Syrien inhaftiert wurden. Objektiv überprüfbar sind diese Angaben allerdings nicht.

So oder so bleibt eine juristische bis philosophische Frage: Wenn sich Menschen freiwillig in Gefahr bringen, darf sie ein Rechtsstaat dazu zwingen, diese Gefährdung auf Dauer einzugehen? 

Fazit: Das deutsche Recht kennt Fälle, in denen Reisen in das Herkunftsland mit dem Asylstatus vereinbar sind. In allen anderen Fällen kann schon jetzt die Anerkennung als Asylsuchender entzogen werden. Horst Seehofer hat also nichts Neues verkündet - sofern er nicht darauf hinaus wollte, künftig auch Besuche bei kranken Angehörigen oder Reisen zu Beerdigungen als Anlass für den Entzug des Flüchtlingsstatus zu nehmen. „Wenn es die Lage erlaubt, werden wir Rückführungen durchführen“, sagte Seehofer weiter. Auch das entspricht dem Status Quo. Klargestellt hat das nun auch das Innenministerium: Seehofer habe „auf die geltende Rechtslage hingewiesen“, hieß es.

Fliegen Asylsuchende auf Steuerzahler-Kosten nach Syrien?

Geäußert wurde auf Twitter auch mehrfach der Vorwurf, Asylsuchende machten auf Steuerzahler-Kosten Urlaub in Syrien. Auch hier gilt: Theoretisch denkbar ist das - praktisch ist es unwahrscheinlich. Anerkannte Asylbewerber die keinen Job finden erhalten Hartz IV. Im Falle von alleinstehenden Menschen bedeutet das eine Zahlung von 416 Euro im Monat. Vor der Anerkennung (oder auch nach der Ablehnung) bekommen Asylsuchende in Erstaufnahme-Einrichtungen knapp 150 Euro monatlich. 

Fazit: Beide Beträge machen es sehr schwer, eine Reise im Wert von mehreren hundert Euro auf Basis von Zuwendungen des deutschen Staates zu buchen. 

In Teilen Syriens spitzt sich die militärische Lage wieder zu. Am Montag bombardierte die syrische Staatsarmee einen türkischen Konvoi. Deutschland lässt unterdessen Kinder von IS-Anhängern wieder in die Bundesrepublik heimkehren. Flüchtlingsstudie: Laut der Rechtsmedizin Münster geben viele junge Geflüchtete ein falsches Alter an. Warum tun sie das? Gegen die ehemalige Chefin der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration wurde angeklagt. Sie soll Geflüchteten zu unerlaubten Aufenthalt geholfen haben. In der Zwischenzeit gab es ein Umdenken in der Flüchtlingspolitik der CSU, wie merkur.de* berichtet.

*merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks.

fn

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