Papst-Schrift lässt aufhorchen: Schulterschluss mit Imam, Kritik im US-Wahlkampf - und heftige Corona-Schelte

Der Papst wird politisch: neben einem Dialog mit dem Islam fordert er eine neue Weltordnung. Seine harte Nationalismus-Kritik kommt kurz vor der US-Wahl.
- In seiner dritten Enzyklika „Fratelli Tutti“ zeigt sich Papst Franziskus sehr politisch
- Mit harten Worten verurteilt er den Umgang der internationalen Politik mit dem Coronavirus*
- Die Menschlichkeit soll in einer neuen Weltordnung im Mittelpunkt stehen: gegen einen Egoismus der modernen Wirtschaft und den Populismus der Politik
Assisi - Schon vor ihrer Veröffentlichung sorgte die dritte Enzyklika von Papst Franziskus für Aufsehen - nicht zuletzt wegen ihres Titels, „Fratelli Tutti“. Am Samstag unterschrieb das als sehr menschennah geltende Kirchenoberhaupt dann das religiöse Rundschreiben in einem kargen Stein-Gewölbe am Grab seines Namensgebers, des Heiligen Franz von Assisi.
Am Sonntag veröffentlichte der Vatikan schließlich die Schrift. Der deutsche Titel: „Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft“. Papst Franziskus bleibt seiner Linie treu, zeigt sich menschennah, weltoffen und politisch.
Das Coronavirus als Wendepunkt: Papst Franziskus betont „klare Unfähigkeit“ der Politik und fordert eine neue Weltordnung
Auch wenn Papst Franziskus darin jeden einzelnen Christen zu mehr Nächstenliebe und Menschlichkeit aufruft: Seine bis jetzt dritte Enzyklika ist auch seine politischste. Das Rundschreiben liest sich zwar wie die Summe früherer Mahnungen, sie ist aber auch eine klare Forderung des Pontifex nach einer neuen Politik, besonders im fünften Kapitel, das mit „Die beste Politik“ überschrieben ist. Franziskus fordert aber nicht einfach nur eine gerechtere Welt, mit „sozialer und politischer Liebe“ als Wegbestimmer. Das Kirchenoberhaupt kritisiert die moderne Wirtschaft und eine Politik voller Konflikte und Populismus. Explizit erwähnt die Enzyklika, dass das Recht auf Eigentum nicht absolut sei und ruft die Vereinten Nationen zur Reform auf.
Die Coronakrise* soll hierbei zum Wendepunkt werden, für mehr Mitmenschlichkeit. In ihrer Reaktion auf das Coronavirus* habe die internationale Politik versagt: „Über die verschiedenen Antworten hinaus, die die verschiedenen Länder gegeben haben, kam klar die Unfähigkeit hinsichtlich eines gemeinsamen Handels zum Vorschein. [...] Wenn einer meint, dass es nur um ein besseres Funktionieren dessen geht, was wir schon gemacht haben..., dann ist er auf dem Holzweg“. - Harte mahnende Worte des 83-jährigen Argentiniers, der in den 150 Seiten der Schrift besonders Ältere und Migranten als Opfer der aktuellen Politik zeichnet.
Kritik im US-Wahlkampf: Papst Franziskus fordert neue Politik und warnt vor „wütende und aggressive Nationalismen“
Es scheint dabei kein Zufall zu sein, dass seine Mahnung ausgerechnet kurz vor der US-Wahl veröffentlicht wird. Darauf weist auch Vatikan-Kenner Bernd Hagenkord auf auf der katholischen Medienplattform Vatikan News explizit hin. Nicht nur warnt Papst Franziskus ausdrücklich, vor der „Versuchung eine Kultur der Mauern zu errichten“ und vor dem „Rassismus, der verborgen ist und immer wieder neu zum Vorschein kommt“. Auch Sätze, wie „Verbohrte, übertriebene, wütende und aggressive Nationalismen leben wieder auf.“ scheinen einen warnenden Zeigefinger gen Washington und US-Präsident Donald Trump* zu richten.
Schulterschluss mit dem Imam: Papst Franziskus betont den gemeinsamen Kampf der Weltreligionen - ein Meilenstein des Dialogs?
Die katholische Kirche soll als Gemeinschaft der Menschlichkeit und Nächstenliebe für eine „soziale Alternative“ einstehen, für eine neue Weltordnung kämpfen. Allerdings nicht im Alleingang: Dass der Papst aus Argentinien wiederholt den Großimam von Kairo, den islamischen Würdenträger Ahmed al-Tajib, erwähnt, hat für Vatikankenner viel Gewicht. Mehrmals verweist Papst Franziskus auf die 2019 gemeinsam unterzeichnete Schrift „Die Brüderlichkeit aller Menschen - Für ein friedliches Zusammenleben in der Welt”. Für den Dialog zwischen Christentum und Islam ist das ein großer Schritt: es ist das erste Mal, dass sich ein Papst so stark auf den führenden Vertreter einer anderen Religion bezieht.
„Es ist darüber hinaus dringend notwendig, weiterhin Zeugnis von einem Weg der Begegnung zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen zu geben“, heißt es ausserdem in der Enzyklika. Aus deutscher Sicht kommt eine solche Aussage allerdings überraschend. Hatte doch gerade erst der Vatikan den Wunsch eines gemeinsamen Abendmahls, katholischer und evangelischer Christen ausgebremst. Hier prallen die Visionen des Papstes wohl auf die konkreten Vorgaben aus der Vatikan-Bürokratie für den Kirchenalltag.
Kritik an der Enzyklika: Schließt die Papst-Schrift Frauen aus?
Auch die Rolle der Frau soll in der katholischen Kirche gestärkt werden. Das erwähnt Papst Franziskus mehrfach. Da hat es einen bitteren Beigeschmack, dass die dritte Enzyklika schon im Vorfeld besonders von weiblichen Christen kritisiert wurde. Der Titel „Fratelli tutti“ zu deutsch „Alle Brüder“ schließe Frauen aus. Kirchenobere argumentierten nach Protesten, dass es sich um ein Zitat des mittelalterlichen Heiligen Franz von Assisi handele. Das überzeugte die Kritikerinnen nicht. Der Vatikan gab nach. Jetzt wird in der deutschen Übersetzung des Lehrschreibens meist von „Geschwisterlichkeit“ gesprochen. (vs/dpa)