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"Wie ein Hammer auf dem Kopf" - Wellingers langer Weg zurück auf die Schanze

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Von: Tobias Ruf

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Fast ein Jahr feilte Andreas Wellinger an seinem Comeback. Zur neuen Saison will der zweifache Olympiasieger wieder voll angreifen.
Fast ein Jahr feilte Andreas Wellinger an seinem Comeback. Zur neuen Saison will der zweifache Olympiasieger wieder voll angreifen. © picture alliance/Expa/Jfk/APA/dpa

Andreas Wellinger hat nach fast einem Jahr Abstinenz das Skispringen wieder aufgenommen. Und auf vielen Ebenen eine turbulente Zeit hinter sich.

Weißbach - Es ist der 10. Februar 2018 in Pyeongchang: Millionen Wintersport-Fans aus aller Welt sitzen vor den TV-Geräten, auf der Tribüne fiebert Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit. Nur noch der Pole Stefan Hula kann den Olympiasieg von Andreas Wellinger verhindern. Hula patzt, fällt auf den fünften Platz zurück, es ist vollbracht: Wellinger ist der erste deutsche Einzel-Olympiasieger im Skispringen seit Jens Weißflog 1994. Der erste deutsche Olympiasieger von der Normalschanze seit 1984. Im Alpensia Jumping Park von Pyeongchang gibt es kein Halten mehr. Die Emotionen überkommen den damals 22-Jährigen Wellinger.

Es ist der 14.05.2020 in Hinterzarten: Wieder steht Andreas Wellinger überglücklich im Auslaufbereich einer Skisprungschanze. Millionen vor den Bildschirmen? Das Staatsoberhaupt auf der Tribüne? Ein Trainingssprung im Adler-Skistadion in Hinterzarten gibt das nicht her. Beim inzwischen 24-jährigen Wellinger löst dieser Sprung dennoch große Emotionen aus.

„Die Vorfreude auf diesen Tag war riesig. Fast ein Jahr lang den Sport, den ich so liebe und in den ich sehr viel investiere, nicht ausüben zu können, war nicht einfach für mich. Ich war entsprechend angespannt vor dem ersten Sprung. Dann aber umso erleichterter, als alles gut ging und ich gemerkt habe, dass ich körperlich wieder in der Lage bin, von der Schanze zu springen“, sagt er im Gespräch mit chiemgau24.de.

11,5 Monate war der Weißbacher, der für den SC Ruhpolding startet, außer Gefecht gesetzt. Im Juni 2019 riss er sich beim Training in Hinzenbach das Kreuzband, zog sich einen Knorpelschaden zu, beide Menisken wurden in Mitleidenschaft gezogen.

Nach dem Olympiasieg 2018 in Südkorea, dem auf der Großschanze und im Team zwei Silbermedaillen folgten, hatte Wellinger ohnehin eine schwierige nacholympische Saison hinter sich. Wie im Skispringen nicht selten, entwickelte sich die Sportart rasant weiter. Wellinger konnte nicht an die Leistungen der Vorjahre anknüpfen.

"In meinem Knie war fast alles kaputt, was kaputtgehen kann"

Die Saison war abgehakt, Wellinger strotzte vor Tatendrang und deutete in der Sommervorbereitung an, dass er wieder ganz vorne angreifen kann. Doch dann machte die schwere Knieverletzung seinen Plänen einen dicken Strich durch die Rechnung.

„Es hat sich angefühlt wie ein Hammer, der einem auf den Kopf fällt. Die Diagnose war sehr deprimierend, in meinem Knie war fast alles kaputt, was kaputtgehen kann“, schildert Wellinger im Gespräch mit chiemgau24.de den wohl schwersten Tag seiner Karriere.

"Laufen lernen" - Der lange Weg zurück zur Normalität

Statt im Weltcup 2019/20 voll anzugreifen, begann für Wellinger ein monatelanger Rehabilitationsprozess. „Die ersten Schritte gehen relativ schnell. Ich konnte das Bein schon recht früh wieder belasten und auch die Beugung war recht schnell zurück. Dann aber beginnt ein langwieriger Prozess, der viel Geduld und Feinarbeit beansprucht“.

Während seine Mannschaftskollegen um den überragenden Karl Geiger große Erfolge einfuhren und sich den prestigeträchtigen Nationencup sicherten, hatte Wellinger mit scheinbar profanen Dingen zu tun. „Man muss sich beispielsweise damit beschäftigen, wieder ergonomisch korrekt laufen zu können. Das dauert länger als man denkt, fördert aber auch ein neues und bewussteres Körpergefühl“, sagt er rückblickend.

Turbulente Tage in Australien

Die harte Arbeit zahlte sich aus, zu Beginn des Frühjahres meldete sich Wellinger gesund zurück. Bevor im Mai die Vorbereitung auf die neue Saison beginnen sollte, wollte er noch einmal Kraft tanken und machte sich auf nach Australien, um dort seine Schwester zu besuchen. Das Knie war verheilt und Corona noch kein akutes Thema. „Als ich meinen Urlaub antrat, war noch alles normal. Abflug und Einreise waren kein Problem. Wir konnten uns zunächst vor Ort frei bewegen“, schildert Wellinger seine ersten Tage in Down Under.

Dann aber überschlugen sich die Ereignisse. „Wir sind surfen gegangen, dabei hat sich mein Bord im Sand verhakt und ich bin mit der Schulter voraus im Flachwasser auf den Sand gestürzt, mein Schlüsselbein hat nachgegeben und ich habe schnell gemerkt, dass das eine schwerwiegendere Verletzung ist“.

Blitz-OP und erleichterte Rückkehr in die Heimat

Er brach sich das Schlüsselbein, doch damit nicht genug. „Einen Tag nach meinem Unfall kam seitens der australischen Behörden die Empfehlung, zuhause zu bleiben.“ Nach Absprache mit den Ärzten des Deutschen Skiverbandes wurde beschlossen, die Schulter vor Ort in Brisbane schnellstmöglich operieren zu lassen und anschließend die Heimreise anzutreten. „Ich war sehr erleichtert, als ich gut zuhause ankam. Die Gesamtsituation war durchaus turbulent, aber letztlich ist alles gutgegangen“, erzählt Wellinger.

In seiner Heimat konnte er sich von den Strapazen erholen, nahm mit Lockerung der Corona-Ausgangsbeschränkungen die Reha in Angriff und meldete sich am 14. Mai mit seinem ersten Sprung seit 11,5 Monaten nach langer Leidenszeit zurück.

In den kommenden Wochen und Monaten stehen für Wellinger und seine Teamkollegen die Vorbereitung auf den Weltcup-Winter 2020/21 an. Dann will der Weißbacher wieder zurück zu alter Leistungsstärke finden. „Perspektivisch will ich wieder ganz vorne angreifen, das wird aber ein langer und schwieriger Weg. Im Hinblick auf den Winter muss ich mich dann zunächst teamintern durchsetzen, das wird schwer genug“.

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Gelegenheiten, sich wieder in den Fokus zu springen, wird es ausreichend geben. Mit der Skiflug-WM in Planica, der Vierschanzentournee, der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf und der RAW AIR Tour in Norwegen stehen für Wellinger und Co. zahlreiche Highlights auf dem Programm. „Das wird eine richtig geile Saison“, sagt Wellinger voller Vorfreude.

Neben den Großereignissen werden die Skispringer dann auch Station China machen. Im Februar steigt in Peking die Generalprobe für das Event, bei dem 2022 wieder Millionen Wintersport-Fans vor den TV Geräten sitzen werden. Und vielleicht auch der Bundespräsident auf der Tribüne mitfiebern wird.

2022 finden die Olympischen Winterspiele in Peking statt.

Hinweis der Redaktion: Am Mittwoch lest Ihr ein ausführliches Interview mit Andreas Wellinger auf chiemgau24.de

Quelle: chiemgau24.de

*chiemgau24.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks

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