1. lokalo24
  2. Welt

Die Angst wächst! In der deutschen Nordsee droht „mittlere Naturkatastrophe“

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

Frachter "Glory Amsterdam" vor Langeoog
Der Frachter "Glory Amsterdam" vor Langeoog. © dpa

Die meisten Trümmer sind beseitigt, die Bäume von den Bahnstrecken entfernt - doch das tödliche Sturmtief „Herwart“ wirkt nach. Vor Langeoog sitzt noch immer ein Frachter fest.

Langeoog - Spaziergänger laufen dick eingepackt am Strand entlang, Kinder lassen Drachen steigen. Auf der Insel Spiekeroog herrscht am Dienstag entspannte Feiertagsstimmung. Doch immer wieder schweift der Blick der Urlauber beunruhigt über das Meer. Seit Sonntagabend liegt der havarierte Frachter "Glory Amsterdam" zwischen Langeoog und Spiekeroog auf Grund. Dass sich die Bergung schwierig gestaltet, macht Touristen wie Einheimischen zunehmend Sorge.

"Das ist wie im Schlick im Watt", sagt Dieter Mader vom Inselmuseum Spiekeroog. "Wenn man da mit dem Gummistiefeln einsinkt, sinkt man immer tiefer ein. Und irgendwann kommt man nicht mehr raus. " Der Museumsleiter hat wenig Hoffnung, dass die Bergung gelingt. "Ich gehe davon aus, dass das Schiff dort liegen bleibt. Nach meinem Gefühl ist es verloren", sagt Mader der Nachrichtenagentur AFP.

Sollte das Schiff zerbrechen, bevor Diesel und Schweröl abgepumpt sind, "droht eine mittlere Naturkatastrophe", mahnt er. Vor allem Spiekeroog wäre betroffen - die Flut würde das Schweröl direkt auf die Insel zutreiben.

Auch bei den Insel-Gastgebern geht die Angst um. Der Leiter einer der Spiekerooger Ferienunterkünfte sagt: "Wenn es zu einem Ölaustritt käme, wäre das eine Katastrophe für uns. Ich hoffe, sie bekommen den Frachter so los."

Die Inselgruppe Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge wurde in diesem Jahr bereits von drei großen Herbststürmen erfasst; am Sonntag war auf Wangerooge ein großer Teil des Badestrands weggeschwemmt worden.

Die "Glory Amsterdam" war am Sonntag mit zwei ausgebrachten Ankern manövrierunfähig im Meer getrieben. Wegen des starken Seegangs durch das Sturmtief "Herwart" konnten die Anker nicht gehoben werden, schließlich lief der Frachter auf Grund.

1800 Tonnen Schweröl sind an Bord des Schiffes, das gut zwei Kilometer vor der Inselkette liegt. Die Angst, dass die Bergung des 225 Meter langen Schüttgutfrachter nicht gelingen könnte, treibt auch Umweltschützer um. Das Öl sei "ein erhebliches Risiko für den Nationalpark Wattenmeer", mahnt der Wattenmeerexperte Hans-Ulrich Rösner von der Organisation WWF.

Das Wattenmeer der Nordsee zählt seit 2009 zum Unesco-Weltnaturerbe. Es ist eine der letzten ursprünglichen Naturlandschaften Westeuropas, ein Paradies für Zugvögel und Heimat tausender Tier- und Pflanzenarten. Der Wechsel von Ebbe und Flut schafft Lebensräume für Milliarden von Jungfischen, im Frühjahr und Herbst rasten hier mehr als zehn Millionen Zugvögel.

Der WWF bekräftigt angesichts der Havarie seine Forderung nach einem weltweiten Verbot von Schweröl als Treibstoff für Schiffe. "Schweröl ist eigentlich nichts anderes als Sondermüll", sagt Rösner. "Solche giftigen Reststoffe aus den Raffinerien gehören nicht als Treibstoff aufs Meer."

Auch am Dienstag kreist am Vormittag ein Hubschrauber über dem Havaristen, zwei Schlepper liegen weiter bei dem Schiff. Ein für Montagabend geplanter Freischleppversuch war kurzfristig wieder abgesagt worden - die Wassertiefe um den Havaristen war "zu gering", wie das Havariekommando Cuxhaven mitteilte.

Im Seegebiet zwischen Langeoog und Spiekeroog gab es früher eine ganze Reihe von Schiffsunglücken, die Schiffe wurden vom Wind auf das Ufer gedrückt. An der Stelle, wo jetzt die "Glory Amsterdam" liegt, war 1920 die finnische Bark "Paul" gestrandet. Der Rettungseinsatz für die "Paul" gilt bis heute als einer der kompliziertesten in der Geschichte der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger.

Die DGRS war gegründet worden, nachdem 1854 zwischen Langeoog und Spiekeroog die "Johanne" untergegangen war - 77 Menschen starben. Die Glocke der "Johanne" hängt im Spiekerooger Inselmuseum. Einmal im Jahr kommt sie zum Einsatz: Dann erklingt für jedes Schiff, das im abgelaufenen Jahr untergegangen ist, ein Schlag. Dieter Mader hofft, dass er sie nächstes Jahr nicht auch für die "Glory Amsterdam" schlagen muss.

Frachter treibt vor Langeoog
Der Frachter "Glory Amsterdam" treibt am 29.10.2017 in der Deutschen Bucht vor Langeoog. © Havariekommando/dpa

„Herwart“ sorgt auch anderswo für Sorgen

Auch anderswo hatte des Sturmtief „Herwart“ dramatische Folgen: Mindestens vier Menschen starben allein in Deutschland. Umstürzende Bäume richteten hohen Sachschaden an, doch am Dienstag lief der Bahnverkehr fast überall wieder. Auf der ostfriesischen Insel Wangerooge riss die Sturmflut ein großes Stück des Badestrandes weg - über Nacht entstand dort eine mehrere Meter hohe Steilküste.

Zwei Tage nach „Herwart“ waren fast alle Bahnstrecken im Norden wieder befahrbar. Lediglich die Strecke zwischen Hamburg-Harburg und Cuxhaven war am Dienstag noch gesperrt, wie ein Sprecher der Deutschen Bahn am Morgen sagte. Die wichtige Verbindung zwischen Hamburg und Berlin war am Montagnachmittag freigegeben worden.

Der Oktober 2017 dürfte vielen Menschen wegen der Herbststürme „Xavier“ und „Herwart“ in Erinnerung bleiben. Nach der vorläufigen Bilanz des Deutschen Wetterdienstes (DWD) war der Monat mit einer Durchschnittstemperatur von 11,1 Grad Celsius aber auch einer der zehn wärmsten Oktobermonate seit dem Beginn flächendeckender Temperaturaufzeichnungen im Jahr 1881.

Mehrere Menschen fanden in dem Sturm den Tod: Am Sonntag ertrank ein Camper aus Nordrhein-Westfalen in der Sturmflut an der Nordsee. Ein 61-jähriger Jäger aus dem Emsland wurde am Montag in Prangendorf in Mecklenburg-Vorpommern laut Polizei unter einem umgestürzten Hochsitz tot aufgefunden. Ebenfalls in Mecklenburg-Vorpommern kamen zwei Menschen ums Leben, die trotz Sturmwarnung mit einem kleinen Motorboot auf den aufgewühlten Peenestrom hinausgefahren und gekentert waren. Die Suche nach einem dritten Bootsinsassen blieb zunächst erfolglos.

In Tschechien kamen drei Menschen im Sturm ums Leben. Sie wurden von umstürzenden Bäumen erschlagen. In Polen tötete der Sturm mindestens zwei Menschen und verletzte 16 weitere. Die Feuerwehr rückte dort zu rund 8000 Einsätzen aus, wie Rettungskräfte am Montag mitteilten.

dpa/AFP

Auch interessant

Kommentare